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Kaum ein soziales Medium war in den letzten Monaten so häufig in den Schlagzeilen und wurde so kontrovers diskutiert wie TikTok. Einerseits handelt es sich unbestreitbar um die populärste Plattform ihrer Art – die Nutzerzahlen, insbesondere unter jungen Menschen, sprechen hier eine klare Sprache. Bereits im Herbst letzten Jahres öffneten über 800 Millionen User regelmäßig die Smartphone-App, wovon fast 70 Prozent zwischen 16 und 24 Jahren alt war. Mittlerweile dürfte diese Zahl sogar noch kräftig gewachsen sein, denn in Europa und damit auch Deutschland schlägt der TikTok-Hype erst jetzt so richtig ein. Die Kehrseite der Medaille findet sich jedoch schnell: Bemängelt werden unter anderem fragwürdiger Datenschutz, Zensurmaßnahmen sowie allerlei eigenwilliger Content. Als Social-Media-affiner Mittzwanziger sehe ich mich hier also vor einem Dilemma. Soll ich über die diversen Probleme hinwegsehen um auf den Zug aufzuspringen? Oder vermiest mir meine Skepsis den möglicherweise hohen Unterhaltungswert?

Auf Generation Z getrimmt

Zuerst soll aber noch kurz die Frage beantwortet werden, was TikTok eigentlich ist. Denn schnell fällt auf, dass viele, die über die Plattform sprechen, gar nicht so genau wissen, wie sie eigentlich funktioniert. In den meisten Fällen hängt das schlicht mit dem Alter zusammen. TikTok ist jung – sehr jung. Mit 27 gelte ich dort praktisch als Rentner und die wenigen Ü30er die sich hierher verirren, fühlen sich vermutlich, als seien sie von Aliens entführt worden. Vom grundsätzlichen Aufbau der App (Videos werden „geswiped“ wie bei Tinder, man bekommt einen endlosen Strom neuen Contents vorgesetzt) bis zum Inhalt der Videos (Tänze, Challenges, mehr oder weniger lustige Sketche) schreit absolut alles: „Sie betreten den Generation-Z Sektor!“ Nicht umsonst setzt sich die User-Base zu fast drei Vierteln aus sogenannten „Zoomern“ (das Teenager-Gegenstück zum Boomer) zusammen.

Entwickelt wurde TikTok vom chinesischen Tech-Unternehmen ByteDance. Bereits 2016 ging die erste Version online, die sich jedoch nur in der Volksrepublik selbst durchsetzen konnte. Der internationale Durchbruch gelang erst im Sommer 2018, als man mit der bereits populären Playback-Video-App musical.ly fusionierte. Wenig später war der Status als „das nächste große Ding“ schon sicher. Selbstverständlich ruft großer Erfolg jedoch früher oder später auch Kritiker auf den Plan. Die häufigsten Kritikpunkte sind hierbei, wie bereits erwähnt, der Datenschutz, die scheinbare Zensur und die Inhalte selbst.

Merkwürdiger Content, fragwürdiger Datenschutz

Am leichtesten lässt sich wohl letzteres entkräften. Ja, vieles von dem, was da in den Videos zu sehen ist, trifft nicht meinen Geschmack. Über die wenigsten der Sketche konnte ich lachen, trendige Tänze zu irgendwelchen aktuellen Chart-Songs sind mir völlig egal und die neueste „balanciere ein Ei auf deiner Stirn während du rückwärts Fahrrad fährst“-Challenge möchte ich auch nicht nachahmen. Aber das muss ich auch nicht. Und genau wie mir als Teenager egal war, was Erwachsene von meinen Interessen hielten, wird es auch den jungen Leuten von heute egal sein, was ich denke.

In Sachen Datenschutz ist die Kritik hingegen stichhaltiger. Wer die TikTok-App auf seinem Smartphone installiert, muss darauf gefasst sein, ihr viele Zugriffsrechte zu erteilen. Von den Kontaktdaten und Geräteinformationen über den Browser-Verlauf bis hin zu spezifischen Kommunikationspräferenzen wird da so einiges ausgelesen und für Werbekunden verwertet. Auffällig ist jedoch, wie häufig und intensiv bei dieser Kritik betont wird, dass das alles ganz besonders schlimm sei, weil der böse Chinese dahintersteckt. Beim ein oder anderen „Datenschutzexperten“ artet das Ganze dann gleich in sinophobe Verschwörungstheorien aus (auch wenn die Vorstellung, dass Xi Jinping Interesse an meinen Tanzkünsten haben könnte, durchaus unterhaltsam ist). Mir persönlich erschließt sich jedenfalls nicht, warum es schlimmer sein soll, wenn TikTok mir ungefragt Werbung zeigt, als wenn Google, Facebook oder Twitter dasselbe tun.

Wenn es um Themen mit China-Bezug geht, ist auch der Vorwurf der Zensur bekanntlich nie weit. Besonders die US-Regierung unter Donald Trump erkennt in TikTok die größte Gefahr für das „freie Internet“ und droht als Konsequenz mit einem Verbot – es sei denn, ein amerikanisches Unternehmen wie Microsoft übernimmt das soziale Medium. Keine Frage, im Land der Mitte selbst kann von freien Medien im westlichen Sinne keine Rede sein. Woher jedoch die Idee kommt, dass dies pauschal auf TikTok übertragbar sei, ist mir nicht klar. Als Argument wird hier häufig angeführt, die Plattform habe etwa Content mit LGBTQ-Bezug systematisch daran gehindert, große Reichweite zu erhalten. Dies mag zu einem früheren Zeitpunkt möglicherweise zugetroffen haben, meine persönlichen Erfahrungen mit der App bestätigen dies jedoch nicht. Innerhalb kürzester Zeit setzte mir der Algorithmus Videos von POCs, Menschen mit Behinderung und trans-Frauen und -Männern vor. Und selbst die Washington Post berichtet mittlerweile von TikTok als Safe-Space für junge Queers.

Bloß nichts verpassen

Nachdem nun die großen Kritikpunkte entkräftet – oder zumindest etwas entschärft wurden – bleibt die abschließende Frage: „Brauch‘ ich das?“ Und die Antwort darauf ist wohl ein äußerst unbefriedigendes „Muss jeder selbst wissen“. Beziehungsweise, wenn wir mal ehrlich sind, braucht man TikTok natürlich nicht. Wie bei jedem anderen sozialen Medium, geht es eher darum, ob man mit der eigenen FOMO (Fear of missing out) klarkommt. Die Entscheidung, ob das jetzt gut, schlecht, interessant oder langweilig ist, kann also nicht pauschal beantwortet werden, es hängt schlicht von den persönlichen Entertainment-Präferenzen und Datenschutz-Prioritäten ab. Etwas objektiver lässt sich jedoch betrachten, inwiefern TikTok einen Nutzen für die PR hat. Doch darum soll es erst beim nächsten Mal gehen.


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