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Wenn uns das Jahr 2023 eines gebracht hat – von ein paar globalen Krisen mehr als wir ohnehin schon hatten einmal abgesehen – dann ist es der Siegeszug der künstlichen Intelligenz. ChatGPT, DALL-E und Co. bestimmten in den vergangenen zwölf Monaten die öffentliche Debatte auf eine Art und Weise, wie es wohl seit der Erfindung des Internets oder des elektrischen Lichts keine neue Technologie mehr vermochte. Und auch bei Press’n’Relations beschäftigten wir uns in dieser Zeit mehr als einmal mit dem Thema. Befeuert wurde der geradezu fiebrige Diskurs um die KI (und was sich als solche verkauft) zu großen Teilen von Tech-Optimisten und Startup-Jüngern, die in allen Medien zwischen Flensburg und Oberstdorf von deren vermeintlichen Vorteilen berichteten. Zentrales Argument dieser Evangelisten: Mit KI lassen sich unzählige lästige, aufwändige und wiederkehrende Aufgaben automatisieren, wodurch wir mit weniger Personal mehr Arbeit in weniger Zeit verrichten können. Eine Win-Win-Win-Situation sozusagen. Oder frei nach dem 45. Präsidenten der USA: Es wird so viel gewonnen, dass man glatt müde davon werden könnte.

Spätestens an diesem Punkt sollte man jedoch hellhörig werden. Denn wo so viel gewonnen wird, muss auch jemand verlieren. Und im Falle der KI-betriebenen Automatisierungswelle ist dies meiner Erfahrung nach häufig der Endkunde. Hautnah erleben durfte ich das erst kürzlich bei meinem Versuch, mein Netflix-Konto zu kündigen. Nötig wurde dies, da der Streaming-Anbieter es auf mysteriöse Weise bewerkstelligt hatte, das hinterlegte Abo (für immerhin 15 Euro im Monat) zu „vergessen“, wenn man so will. Will heißen, mein Account begrüßte mich eines Tages mit der Information, dass ich doch bitte ein Abonnement auswählen solle – was ihn jedoch nicht davon abhielt, den alten Betrag weiterhin abzubuchen. Einfachen kündigen konnte ich das alte Abo jedoch auch nicht, denn offiziell existierte dieses ja nicht mehr. Da ich schon seit längerem mit dem Gedanken spielte, Netflix den Rücken zu kehren, kam mir dieser ärgerliche Zwischenfall aber gerade recht. Also griff ich zum Smartphone, rief die Support-Seite auf und setze gedanklich schonmal meine Hotline-Stimme auf …, nur um festzustellen: Netflix hat keine Support-Hotline.

Die Sprache der Chat-Bots

Stattdessen verweist die Website den mehr oder minder verärgerten Nutzer auf eine Art interaktives FAQ, ähnlich einem Chat-Bot. Hier wird man nun aufgefordert, sein Anliegen doch einfach kurz einzutippen, worauf man dann eine hilfreiche Antwort vom Geist in der Maschine erhalten solle. Oder zumindest sollte. Das Problem daran ist nämlich, dass die KI im Hintergrund dieses Systems, so fortgeschritten sie auch sein mag, eben doch nur mit einer Auswahl an Standardproblemen zurechtkommt. Passwort vergessen? Kein Problem! Zahlungsdaten falsch? Schnell gelöst! Dein Account hat sich ohne ersichtlichen Grund dazu entschlossen, dich zu beklauen? Nun ja …

Ich bin mir sicher, automatisierte Support-Lösungen leisten zum Großteil brauchbare Arbeit.  Und natürlich bin ich mir darüber bewusst, dass es sich bei meinem Problem um einen sehr spezifischen Sonderfall handelt. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht einmal sicher, ob ein menschliches Gegenüber am Telefon hier wesentlich hilfreicher gewesen wäre. Doch es macht eben einen Unterschied, die Chance zu haben, einer realen Person in normalen Sätzen erklären zu können, was ich möchte – oder ob ich gezwungen bin, meine komplexe Anfrage in Inputs zu verwandeln, mit denen eine (am Ende eben doch nicht so intelligente) künstliche Intelligenz klarkommt.

Automatisierung ist nicht alles

Der Siegeszug der KI im Bereich Support und Service wird sicher nicht aufzuhalten sein. Zu groß sind die Vorteile für Unternehmen, insbesondere in Zeiten des Personalmangels und steigenden Kostendrucks. Warum sollte man sich noch eine Armee an Callcenter-Mitarbeitern leisten (und sei es eine in einem südasiatischen Billiglohnland), wenn es auch etwas Server-Space im Rechenzentrum tut? Aber auch auf die Gefahr hin, mich als mentaler Boomer zu outen: Mit einem echten Menschen zu sprechen, ist in den meisten Fällen angenehmer, zielführender und – Automatisierungsfans bitte kurz weghören – schneller. Ach ja, ich bin noch das Ende meiner Netflix-Odyssee schuldig. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, dem Bot mein Problem zu erklären, gab ich auf und stellte unilateral die Zahlung ein. Beklagt hat sich bisher noch niemand. Und falls doch, verweise ich eben auf den Chat-Bot meiner Bank.