Aufmerksamen Lesern unseres Blogs mag es aufgefallen sein: Das Thema LinkedIn beschäftigt uns als Agentur in den letzten Wochen und Monaten mehr denn je. Nachdem Uwe Pagel erst kürzlich anschaulich erklärte, wie einfach ein erfolgreicher Start auf der Business-Plattform sein kann und Rebecca Horn kurz zuvor aufzeigte, warum LinkedIn deutliche Vorteile gegenüber Xing hat, komplettiere ich heute den Beitrags-Hattrick. Während die Kollegen hauptsächlich die positiven Aspekte des sozialen Mediums hervorhoben, soll es sich bei mir jedoch eher um die Schattenseiten drehen. Denn das tägliche Scrollen durch den Feed ist in der Regel zwar durchaus interessant und gelegentlich auch unterhaltsam – umso unangenehmer fallen dann jedoch die besonders selbstbeweihräuchernden, inhaltsleeren oder schlicht erfundenen Posts auf.
Aufdringliches Understatement
Wer das Netzwerk einigermaßen regelmäßig nutzt, weiß vermutlich wovon ich spreche. In ewig langen Textbeiträgen – gerne garniert mit einer Wagenladung Emojis und einem Selfie, das Vertrautheit simulieren soll – präsentieren selbsternannte LinkedIn-Influencer hier ihre scheinbare Großartigkeit. Oberstes Gebot dabei: Egal worum es geht, immer dick auftragen. Es reicht nicht, sich für soziale Zwecke einzusetzen. Nein, man rettet mit seinem Startup lieber gleich ganz Afrika. Auch Nachhaltigkeit gibt es selbstverständlich nur im Vorteilspack und so predigt man, dass jeder seinen Teil leisten kann. Aber man selbst leistet eben den größten. Und vom richtigen Mindset will ich hier gar nicht erst anfangen, davon hat man sowieso das richtigste, wichtigste und beste…
Dass der scherzhafte Begriff des „LinkedIn-Flex“ (Slang für „Muskeln anspannen“ bzw. „posen“) seit einiger Zeit auf Twitter und Co. die Runde macht, verwundert dementsprechend nicht. Besonders zeichnet sich diese, der Berufs-Plattform so eigene Art der Angeberei durch ihre geheuchelte Bescheidenheit aus. Zum Entstehen dieser widersprüchlich großspurigen Demut trägt sicherlich auch der aktuelle Zeitgeist bei. In den Achtzigern und Neunzigern war eben Business noch Business – gesellschaftliches Engagement und Umweltbewusstsein überließ man den Ökos und Sozen. Heute sind die Vorzeichen hingegen ganz andere. Wo jeder Handwerksbetrieb aus der Provinz seine Values und Corporate Responsibility spazieren trägt, wird eben auch von Anzugträger XY erwartet, dass er Elon Musk und Mutter Theresa in sich vereint.
Facettenreiche Unehrlichkeit
Mir ist bewusst, dass ich hier sicher vielen engagierten Usern Unrecht tue. Und ich will auch gar nicht verneinen, dass es der Mehrheit der postenden Wohltäter tatsächlich um die Sache und nicht vorrangig um ihr Image geht. Mehr noch, als die ungerechtfertigte Glorifizierung der eigenen Leistungen, stößt mir persönlich sowieso die zunehmende Inhaltslosigkeit und Unehrlichkeit vieler LinkedIn-Beiträge sauer auf. Selbstverständlich werde ich an dieser Stelle keine konkreten Beispiele nennen, auch wenn mir auf der Stelle mehrere einfallen würden. Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass die Posts in eine von drei Kategorien fallen:
- Selbstverständlichkeiten als große Erkenntnis verkaufen: Klingt zunächst sehr ähnlich, wie der „LinkedIn-Flex“, ist aber noch etwas alberner. Völlig grundlegende Feststellungen und logische Zusammenhänge werden dabei präsentiert, als hätte man soeben die Quantenphysik widerlegt. So heißt es da schonmal: „Unternehmen, die Energie sparen, sind nachhaltiger und nutzen große Einsparpotenziale.“ Ja Mensch, Sachen gibt’s…
- Fakten bis zur Unkenntlichkeit verdrehen: Viel war bekanntlich in den letzten Jahren von Fake-News auf Facebook und Twitter die Rede. LinkedIn kam in diesem Diskurs praktisch ungeschoren davon. Dabei begegnen einem auf der Plattform regelmäßig Beiträge und Kommentare, die die geschäftlichen Interessen und politische Einstellung des Postenden allzu deutlich zu erkennen geben. Die eigene Sichtweise auf ein Thema darzustellen ist eine Sache – sich die Realität zurechtzubiegen, bis sie in ein präferiertes Geschäftsmodell passt, eine andere.
- Geschichten erfinden, um das eigene Narrativ zu unterstreichen: Auf dem Kurznachrichtendienst mit dem blauen Vogel gibt es den abwertenden Begriff „Ausdenk-Twitter“ für offensichtlich erfundene Anekdoten, die eine bestimmte Message oder Moral vermitteln sollen. LinkedIn hat das gleiche, nur ohne 280-Zeichen-Limit. Von bahnbrechenden Einsichten zum Employer-Branding an der Supermarktkasse bis zur Bestätigung der jeweiligen Unternehmensphilosophie durch einen Kommentar des dreijährigen Sohnes am Frühstückstisch ist hier alles dabei. So passiert ist das natürlich nicht, aber die Wahrheit stört ja auch nur beim Geschichten erzählen.
Wie man sieht, gibt es so einiges, das an LinkedIn nervt. Doch bei all dem Schall und Rauch sollten die positiven Seiten nicht aus dem Fokus geraten. Denn die Möglichkeiten, sich zu vernetzen und spannende Neuigkeiten aus unterschiedlichsten Branchen frühzeitig zu erfahren, sind immer noch unübertroffen. Dafür lohnt es sich auch, gelegentlich über das vielfältige Blendwerk hinwegzusehen. Und wer sichergehen will, zwischen Influencern, Weltrettern und Spin-Doktoren nicht den Verstand zu verlieren, sollte seine Timeline mit viel Humor im Gepäck überfliegen. Ich spreche aus Erfahrung.