„Tu’s ohne Lust, aber tu’s“ schreibt Niklas Wlotzke – und nimmt damit, ohne es zu ahnen, mein Thema vorweg. Denn wenn es ums Müssen geht, spricht man selten von Vergnügen. Und doch möchte ich mich hier um die Rehabilitierung eines Konzepts bemühen, das selten gewürdigt wird. Die steile These: Müssen hat auch etwas Gutes. Auf den Punkt gebracht:
Müssen befreit
Klingt wie ein Widerspruch, ist also auch ein Widerspruch? Das wäre zu kurz gedacht. Gewiss, wer eine Aufgabe erledigen muss, ist alles andere als frei von Zwängen. Aber wer dem Zwang erliegt, ein Projekt unbedingt, allen Umständen zum Trotz und am besten noch heute zu Ende zu bringen, der gewinnt von gänzlich unerwarteter Stelle auch Freiheiten hinzu. Als da wären:
- die Freiheit von Ablenkungen. Wer keine Wahl hat als zu schuften, setzt notgedrungen Scheuklappen auf, die es ihm erlauben, sich ganz und gar auf sein Werk zu konzentrieren. Und wenn die Welt untergeht: Wer muss, der muss.
- die Freiheit von der Wahl. Klingt nach schlechtem Deutsch, aber meint in diesem Kontext, frei zu sein von der Notwendigkeit, wählen zu müssen. Zwischen richtig und falsch, Sinn und Unsinn oder auch nur verschiedenen Aufgaben. Es heißt schließlich nicht umsonst, die Qual der Wahl zu haben.
- die Freiheit von Zweifeln. Ist wirklich lesenswert, was ich schreibe? Sollte ich nicht vielleicht einen anderen Aufhänger wählen? Oder hätte ich nicht besser …? Zu spät. Die Würfel sind gefallen, es wird längst gemusst. Zeit, sich damit abzufinden und zu schreiben. Wie schön.
- Die Freiheit von Ausreden. Sie haben gar keine Lust, diesen bestimmten Artikel zu verfassen? Dem Lieblingskunden einen peinlichen Fehler einzugestehen? Glück gehabt, denn es ist völlig egal, ob Sie möchten. Sie müssen schließlich.
Die Kunst, zu müssen
Noch nicht überzeugt? Wie wäre es dann mit folgendem Argument: Das eigentlich Befreiende, wenn es um das Müssen geht, ist der Perspektivenwechsel, den es erzwingt. Ist eine Situation einmal in die Phase des Müssens übergegangen, haben Ablenkung, Klage, Zweifel und Ausrede ihre Nützlichkeit verloren. Sie sind, im wahrsten Sinne des Wortes, wirkungslos geworden. Das bedeutet nichts weniger als das Ende der Prokrastination. Die definiert der Duden als „das Aufschieben von anstehenden Tätigkeiten“. Aber, um eine leidige Sentenz zu bemühen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nicht umsonst betonen erfahrene Prokrastinierer gerne, dass sie durchaus zu beachtlichen Leistungen im Stande sind, so sie denn all ihrer Auswege beraubt werden. Erst im Angesicht des Zwanges zeigen sie, was in ihnen steckt. Gibt das Müssen ihnen also Stärke? Und kann die Kunst, zu müssen, am Ende gemeistert werden?
Fragen, deren Antworten ich in diesem Rahmen schuldig bleiben muss (sic). Persönlich weiß ich die Notwendigkeit, mich voll und ganz auf eine Situation, ein Werk oder eine Aufgabe einlassen zu müssen, so manches Mal durchaus zu schätzen.
Aber vielleicht ist das alles auch nur eine Frage der Perspektive.