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Ein typischer Novembermorgen in Ulm. Man steht auf, schlurft in die Küche, schaltet die Kaffeemaschine an und schaut aus dem Fenster. Und was sieht man da? Nichts. Gar nichts. Denn es ist eben Ulm im November und das bedeutet Nebel. Nicht der sanfte Schleier, der sich leicht über die Landschaft legt, den jetzt die Nicht-Ulmer vor Augen haben mögen. Nein, die Rede ist von einer vollkommen blickdichten Decke. In etwa damit vergleichbar, wenn man mit dem Flugzeug mitten durch eine Wolke fliegt. Eine weiße Masse, die alles unter sich erdrückt. Wer es einmal erlebt hat, muss sich zumindest nie mehr fragen, wie 200 Meter Neuschnee aussehen würden.

Wer jetzt denkt, ich übertreibe, hat die Stadt offensichtlich noch nie zu dieser Jahreszeit besucht. Andererseits ist es auch gar nicht so einfach, Ulm in dem Dunst überhaupt zu finden. Ohne Navigationssystem und ein gesundes Vertrauen in die eigene Reaktionszeit endet die Anreise schnell mal in der Donau, im Münsteraltar oder, gottbewahre, in Bayern. Wenn man doch sicher ans Ziel gelangt, muss man sich die Frage gefallen lassen, ob es den Aufwand wirklich Wert war. Denn wer wochenlang nur Weiß sehen will, kann auch zuhause die Tapete anstarren.

Horror und Hoffnung

Vielleicht fühlt sich jetzt der ein oder andere an den Horrorfilmklassiker „The Fog – Nebel des Grauens“ erinnert. Aber während John Carpenter dem Wasserdampf ein mörderisches Bewusstsein andichtet, gibt er sich in Ulm recht friedlich. Sein schlimmstes Verbrechen ist wohl, dass er das größte Wahrzeichen der Stadt für einen guten Monat vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt. Aber dafür ist die Freude umso größer, wenn der höchste Kirchturm der Welt dann doch wieder am Horizont erscheint. Gut möglich, dass die Ulmer ihre Stadt erst so richtig zu schätzen lernen, wenn sie jedes Jahr für einige Wochen verschwindet.

Aus diesem Blickwinkel hat die Nebel-Saison sogar positives Potential. Warum nicht einfach all die Dinge, die keiner sehen will, in den November legen? Egal ob eine neue Baugrube mitten in der Stadt oder die nächste Insolvenz des SSV 1846, im Herbst bekommt es keiner mit. Auch jeder einzelne kann diese Anonymität nutzen. In Schlabberklamotten und ungeschminkt vor die Tür, ohne dass einen die neugierigen Nachbarn sehen oder einem der Chef über den Weg läuft. Einen Monat leben, als würde niemand zusehen. Eine verlockende Vorstellung.

Und wenn sich dann langsam die Schwaden lichten und Ulm wieder in vollem Glanz erstrahlt, bleibt alles hässliche, graue und versteckenswerte im November zurück. Die ganze Stadt beginnt neu, als leeres Blatt, auf das ein Jahr lang schöne Bilder gemalt werden können. Bis zum nächsten November.

Anpassung oder Flucht

Das mag pathetisch klingen. Und hartgesottene Ulmer Ureinwohner werden über dieses Gejammer lachen. Sie sind im Nebel geboren und kennen kein anderes Leben. Ein Ägypter beschwert sich ja auch nicht, wenn es im Sommer heiß ist. Aber als Zugezogener aus dem, im Vergleich, fast mediterranen Süden (Biberach an der Riß), gestaltet sich die Eingewöhnung schwierig. Ich muss zugeben, ich vermisse die Sonne und etwas weniger als 100 Prozent Luftfeuchtigkeit wäre auch genug. Ich bin mir sicher, ich befinde mich in einer tollen Stadt, es war mir bisher nur noch nicht vergönnt, sie zu sehen.

Sicher werde ich noch einige Zeit hier verbringen und dabei Winter, Frühling, Sommer und auch wieder Herbst erleben. Bis dahin habe ich mich hoffentlich schon eingelebt und die Ulmer Nebelresistenz absorbiert. Zumindest werde ich mich besser vorbereiten. Ein Nebelscheinwerfer für das Fahrrad scheint ein guter Anfang zu sein. Oder ich fahre solange einfach in den Urlaub und behalte Ulm in guter Erinnerung.

 

Christoph Buck


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