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Einer der vielen unerwarteten Nebeneffekte des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist, dass das Thema Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft heute wohl so viele Menschen umtreibt, wie seit den Ölkrisen der 1970er nicht mehr. Für die meisten Deutschen unter 60 dürfte es das erste Mal gewesen sein, dass sie sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen mussten, ob sie warm duschen und im Winter ordentlich heizen können. Die schockierende Realisation, so abhängig von fossilen Rohstoffen aus größtenteils undemokratischen Ländern zu sein – von Erdgas aus Russland bis Erdöl aus den Golfstaaten – befeuerte somit folgerichtig das Interesse an alternativen Energiequellen. Einerseits erhielten die erneuerbaren Energien, wie Windkraft und Photovoltaik, einen zusätzlichen Aufmerksamkeitsschub, andererseits erlebte die Atomkraft im medialen und politischen Zirkus ein unerwartetes Revival. Neben diesen etablierten Stromerzeugungsmöglichkeiten profitierten aber auch diverse Zukunftstechnologien von dieser Goldgräberstimmung. Sie alle eint das Versprechen, den Energiebedarf der kommenden Generationen zuverlässig und effizient zu decken, dabei klimaneutral zu sein und für Wohlstand ohne Abhängigkeiten und Reue zu sorgen.

Wie so oft, wenn etwas scheinbar nur Vor-, aber keine Nachteile hat, ist auch hier Skepsis angebracht. Bei vielen der windigen Startups und Garagentüftlern, die versuchen, Investoren für ihre vermeintlichen Wundertechnologien zu finden, genügt schon ein kritischer Blick, um den Putz an der glamourösen Fassade bröckeln zu sehen. Hier ist die Technik noch nicht ausgereift, dort ist kein wirtschaftlicher Betrieb möglich und manch einer versucht gleich physikalische Unmöglichkeiten an den Mann und die Frau zu bringen. So versuchen etwa immer noch gut hundert Personen pro Jahr (!) ein Perpetuum Mobile beim Deutschen Patentamt anzumelden. Nun ja, der Glaube stirbt zuletzt…

Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch einige vielversprechende Projekte, die eines Tages tatsächlich zur Stillung unseres Energiehungers beitragen könnten. Diese zeichnen sich in der Regel vor allem dadurch aus, dass beträchtliche Mengen Geld in sie investiert werden – ob nun von privatwirtschaftlicher oder staatlicher Seite. Einige besonders spannende Vorhaben sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden:

Das Mega-Windrad des Horst Bendix

Eine Windkraftanlage, höher als der Eiffelturm – diese wahnwitzig anmutende Idee hatte der letztes Jahr im Alter von 93 verstorbene Horst Bendix recht spät in seinem langen Leben. Erst 2018 meldete er das ambitionierte Vorhaben zum Patent an. Zuvor hatte der promovierte Ingenieur viele Jahrzehnte für die „andere Seite“ der Energieerzeugung gearbeitet. In der DDR konstruierte er unter anderem die gigantischen Bagger für den Braunkohlebergbau in der Lausitz. Der Grund für die beeindruckenden Maße des Bendix’schen Windrads ist schnell erläutert: Der Ingenieur ging davon aus, dass sich in großen Höhen mehr als die doppelte Menge an elektrischer Energie als mit einer klassischen Windkraftanlage erzeugen lässt, da hier der Wind deutlich schneller und ohne Verwirbelungen weht. Messungen aus dem Jahr 2023 bestätigten diese Vermutung. In 300 Metern Höhe dürfte die energetische Ausbeute demnach um 60 bis 70 Prozent höher ausfallen. Da die Rotorblätter jedoch viel größer als die einer normalen Onshore-Anlage sein werden, wird mit einer jährlich erzeugten Energiemenge von bis zu 50 Gigawattstunden gerechnet. Ein einziges Windrad könnte so gut und gerne 13.000 Haushalte versorgen. Die erste Pilotanlage dieser Art soll in der Lausitz, sozusagen an alter Wirkungsstätte Bendix‘ entstehen. Nach Fertigstellung soll sie über 20 Jahre hinweg Strom erzeugen, wobei für die Entwicklung und Errichtung mit Kosten von 20 bis 30 Millionen Euro gerechnet wird.

Atomkraft 2.0: Der Thorium-Flüssigsalz-Reaktor

Wie bereits erwähnt, rückte im Zuge der energiewirtschaftlichen Turbulenzen der letzten zwei Jahre auch die nukleare Stromerzeugung wieder in den Fokus. Vor allem von konservativer und liberaler Seite wurde im Zuge dessen häufig lamentiert, dass der deutsche Alleingang beim Ausstieg aus der Atomenergie rein (links-grün-)ideologisch getrieben gewesen sei und man sich auf diese Weise gegenüber nuklear-freundlichen Ländern wie Frankreich ohne Not ins Hintertreffen begeben hätte. Dass diese Sichtweise mit der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Realität nicht allzu viel zu tun hat – geschenkt. Abseits der seit den Fünfzigerjahren üblichen Leichtwasserreaktoren gibt es jedoch andere Atomstrom-Technologien, die in den kommenden Jahrzehnten womöglich wirklich zu einem relevanten Faktor im Energiemix werden könnten.

Am vielversprechendsten sind hierbei sicherlich die sogenannten Thorium-Flüssigsalz-Reaktoren, die klassischen Atomkraftwerken in praktisch jeder Hinsicht überlegen sind: Das als Brennstoff verwendete Thorium kommt wie Uran in der Natur vor, allerdings in wesentlich größeren Mengen, und fällt unter anderem als Abfall bei der Förderung Seltener Erden an. Da das Thorium in flüssigem Salz gelöst wird, das als Kühlungsmittel, Moderator und Medium für die Spaltung wirkt und der Wasserkreislauf dabei nicht in Berührung mit dem spaltbaren Material kommt, ist eine Kernschmelze praktisch unmöglich. Zudem sind Flüssigsalz-Reaktoren um ein Vielfaches effizienter. Aus einer Tonne Thorium lässt sich auf diese Weise gleich viel Energie gewinnen wie aus 35 Tonnen angereichertem Uran – oder 4.166.000 Tonnen Kohle. Insbesondere in China werden große Hoffnungen in die Technologie gesetzt. Bereits im August dieses Jahres sollen die Konstruktionsarbeiten an einem Reaktor in Wuwei am Rand der Wüste Gobi abgeschlossen sein. Für September sind dann erste Testläufe geplant.

Von UV zu Infrarot: Hochgradig effiziente Solarzellen

Photovoltaik, so sollte man meinen, ist längst über den Status einer Zukunftstechnologie hinaus. Wer durch Deutschland fährt, hat mittlerweile eher Schwierigkeiten, noch Häuser zu sehen, deren Dächer nicht blau-silbern in der Sonne glänzen. Das bedeutet aber selbstverständlich nicht, dass es an Solarzellen nichts zu verbessern und weiterentwickeln gäbe. Ein Problem an normalen Silizium-Zellen ist etwa, dass sie nicht optimal an das Lichtspektrum der Sonne angepasst sind. Mit ihnen können dadurch nur bestimmte Wellenlängen effizient genutzt werden. Allem voran ultraviolettes und blaues Licht können nicht so gut in elektrischen Strom umgewandelt werden wie infrarotes Licht. Ein großer Teil der potenziellen Energie wird somit vergeudet.

Eine mögliche Lösung hierfür fand vor einiger Zeit ein Forschungsteam an der zur New York University gehörenden Tandon School of Engineering. Diese besteht im Wesentlichen darin, das Spektrum des eintreffenden Sonnenlichts mithilfe einer speziellen Beschichtung auf den Zellen in den längerwelligen Bereich zu „verschieben“ – von Ultraviolett zu Infrarot. Die Veränderung des Lichtspektrums hat zudem Vorteile hinsichtlich der Investitionssicherheit. Da UV-Strahlen zu einer schnelleren Degradierung der Zellen führen, die dann häufiger ausgetauscht werden müssen, senkt die Technologie die langfristigen Kosten einer PV-Anlage. Das erklärte Ziel der Forscher ist es, perspektivisch 100 Prozent des eintreffenden Lichts in Infrarotstrahlung umzuwandeln und so maximal verwertbar zu machen.

Seit 80 Jahren Zukunftsmusik: Der Fusionsreaktor

Zu guter Letzt darf natürlich auch der Treppenwitz der energiewirtschaftlichen Grundlagenforschung nicht fehlen – die Kernfusion. Praktisch seit in den 1940er Jahren zum ersten Mal darüber nachgedacht wurde, das Funktionsprinzip der Sonne auf die Erde zu holen, gilt die Faustregel: Kommerziell nutzbare Fusionsreaktoren gibt es in 50 Jahren. Fairerweise muss man aber feststellen, dass sich hier gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren doch einiges getan hat. Mit Finanzierungen in Milliardenhöhe zeigen Projekte wie ITER in Frankreich, Wendelstein 7-X in Deutschland oder CFETR in China, dass der Traum von der Stromerzeugung durch Kernfusion inzwischen nicht mehr nur von Physikern, sondern auch von Politikern und Investoren geträumt wird. Grund hierfür sind wohl vor allem die beträchtlichen technologischen Fortschritte. Unter anderem ermöglichen heutige Computer die zunehmend einfachere und effizientere Planung sogenannter Stellarator-Reaktoren, die extrem komplexe Berechnungen erfordern. Aber auch Durchbrüche im Bereich der sogenannten Laserfusion erscheinen vielversprechend.

Ob in den nächsten 50 Jahren (oder überhaupt zu meinen Lebzeiten) tatsächlich ein wirtschaftlicher Fusionsreaktor ans Netz geht, lässt sich dennoch nicht mit Sicherheit sagen. Und auch, inwieweit Riesen-Windräder, Infrarot-Solarzellen und Co. zukünftig unseren Kühlschrank am Laufen halten, bleibt zu sehen. Sicher ist nur: Die Zukunft der Energiewirtschaft bleibt spannend.