');

Der Ankündigung von Annalena Baerbock und Robert Habeck am 19. April 2021, dass Baerbock für die Grünen das Kanzleramt ins Visier nehmen wird, folgte ein triumphaler Wahlkampfstart. Die Umfragewerte der Partei schossen in die Höhe und selbst die konservativsten Medien berichteten mit einem Hauch von Anerkennung. Oh! Es wurde eine Frau als Kanzlerkandidatin nominiert – das sollte heute und nach 15 Jahren Angela Merkel eigentlich keine Besonderheit sein, aber scheint doch noch eine gewisse Faszination auszuüben. Und ach! Diese Entscheidung wurde ja total harmonisch getroffen. Im Anbetracht der zum gleichen Zeitraum stattfindenden Grabenkämpfe zwischen Markus Söder und Armin Laschet war dieses Auftreten der Grünen-Spitze äußerst souverän. Ende April hatte das Kommunikations-Team der Grünen also traumhafte Voraussetzungen für die anstehende Arbeit. Was ist danach nur schiefgelaufen?

Versäumnisse

Nicht einmal einen Monat später meldete Baerbock Nebeneinkünfte beim Bundestag nach. Sie hatte es versäumt, 25.000 Euro rechtzeitig einzureichen. An sich kein ungewöhnliches Vorgehen, denn laut Léa Briand vom Internetportal „Abgeordnetenwatch“ hat das unter den Abgeordneten durchaus System. Doch dieser erste Shitstorm (angefeuert von der politischen Konkurrenz und rechten Twitter-Trollen) zeigte zum ersten Mal, wie sehr Baerbock nun unter Beobachtung steht. Obwohl es sich also um eine gängige Praxis und zudem Zahlungen ihrer eigenen Partei handelte – schlimmer wären ja wohl Zahlungen von Lobbyorganisationen gewesen –, wurde dieser Fehler in der Presse gründlich ausgeschlachtet. Zu diesem Zeitpunkt müsste das PR-Team um die Kanzlerkandidatin doch schon mitbekommen haben, wie so ein Wahlkampf ablaufen kann.

Präzisierungen im Lebenslauf

Anfang Juni dann das nächste Desaster: Der veröffentlichte Lebenslauf war – nennen wir es mal so – ordentlich „optimiert“. Teils unpräzise bis grob falsche Einträge flogen dem Kommunikations-Team infolgedessen selbstverständlich ordentlich um die Ohren. Dann begannen die „Verschlimmbesserungen“: Mehrere Male wurden Passagen stückweise korrigiert und geändert. Ich konnte es nicht fassen. Warum wurde denn nicht schon vor dem Wahlkampf geprüft, welche Informationen über Annalena Baerbock veröffentlicht werden? Wir sprechen hier vom 1×1 der Kommunikation: Welche Leichen könnte die Person, die wir in die Öffentlichkeit schubsen, im Keller haben? Und wie bereiten wir uns auf Fragen in diese Richtung vor? Das ist Standard in der Politik-PR!

Die „Buch-Affäre“

Gerade hatte sich die negative Berichterstattung über Baerbock beruhigt, da veröffentlichte die Kanzlerkandidatin ihr erstes Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“. Ich kann mir vorstellen, dass das Kommunikations-Team begierig auf positive Resonanz gehofft hat. Aber wieder hat man verpasst zu prüfen, was veröffentlicht wird. Denn mittlerweile sollte wohl bei jedem angekommen sein, dass Publikationen von Politikern besonders scharf kontrolliert werden. Außerdem stellt es heute kein Problem mehr dar, innerhalb kürzester Zeit Plagiate in jedem Text zu finden – dem Internet sei Dank. Haben die PR-Leute der Grünen schon einmal von Guttenberg und seiner Doktorarbeit gehört? Ja, es handelt sich hier nicht um eine Doktorarbeit und auch nicht um ein Sachbuch, aber: Das Kommunikationsteam hätte die Arbeit selbst machen müssen. Stattdessen hat man dies – unfreiwillig – dem österreichischen Medienwissenschaftler und selbsternanntem „Plagiatsjäger“ Stefan Weber überlassen. Der ist jedoch kein Unbekannter für die Grünen, hat er doch in deren Auftrag schon das ein oder andere mal bei anderen „genauer hingeschaut“.

Man muss kein Kommunikationsexperte sein, um zu sehen: Hier läuft etwas gründlich schief. Sich nun darüber zu beschweren, dass gemeine Kampagnen gegen die Partei und ihre Kandidatin geführt werden, wirkt wieder nicht souverän. Und dass es in einem Wahlkampf nicht immer fair zugeht, dürfte doch auch schon bei den Grünen angekommen sein – trotz ausgeprägtem Harmoniebedürfnis. Das Kommunikations-Team von Annalena Baerbock hat bis zur Bundestagswahl am 26. September noch harte Wochen vor sich und man kann sich nur wünschen, dass sie diese auch nutzen. Kommunikation ist schließlich kein Hexenwerk, sondern basiert auf klaren Regeln – Wahlkampf hin oder her.