Copyright-Vorwürfe kommen nicht nur bei Doktorarbeiten vor, sondern auch bei Musikstücken. Dabei werden selbst kleinste Verstöße geahndet: Katy Perry wurde beispielsweise wegen der Verwendung von drei(!) Noten aus einem anderen Stück in einem ihrer Songs zu einer Strafe in Millionenhöhe verdonnert. Die Crux dabei: Das Gericht ging nur davon aus, dass sie das Original hätte kennen können – was sie bestritt. In dem Zusammenhang bin ich zufällig auf etwas gestoßen, was die Copyright-Problematik befeuert und mir gleich mehrere Male ein „Wow“ entlockt hat.
Wow #1: All the Music
Musikradar.de hat eine Liste mit 15 bekannten Songs zusammengestellt, die sich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sahen: „Stay with Me“ von Sam Smith klingt beispielsweise wie „I Won’t Back Down“ von Tom Petty And The Heartbreakers. Ersterer beteuert, den Song nie gehört zu haben – er wurde drei Jahre vor seiner Geburt komponiert. Ist die Ähnlichkeit nun Zufall oder Absicht? Die Antwort ist nicht einfach. Musik ist im Endeffekt Mathematik. Es gibt eine bestimmte Anzahl an Noten, die sich in endlicher Form kombinieren lassen. Ein Komponist kann – falls er nicht mit Absicht etwas abkupfert – Glück haben und eine bislang nicht verwendete Tonfolge erfinden. Oder er hat Pech, sein Stück hört sich an wie das eines anderen, der Umstand fällt nicht rechtzeitig erkannt auf und schon hat er – siehe Katy Perry wegen drei Noten – eine Copyright-Klage am Hals. Schnelle Gerichtsentscheidungen kommen in der Folge zwar vor, sind aber nicht die Regel. Der Streit zwischen der Band Kraftwerk und Moses Pelham wegen der Verwendung eines zweisekündigen Tonschnipsels schwelt bereits seit über 20 Jahren – und ist immer noch nicht endgültig geklärt.
Diese grundsätzliche Problematik beim Thema Copyright sind der Technik-Anwalt, Musiker und Programmierer Damien Riehl sowie sein Projektpartner Noah Rubin angegangen. Ihrer Ansicht nach seien die aktuellen Regelungen in diesem Bereich „kaputt und überfordert“ und das Komponieren eines Liedes gleiche dem Gang über ein Minenfeld. Sie kamen auf die Idee, die „Brute-Force-Methode“, mit der über den Einsatz roher Rechengewalt Passwörter geknackt werden, quasi umzudrehen: Ausgehend von den am häufigsten in der Popmusik vorkommenden und genutzten acht Grundtönen einer Oktave, erzeugten sie mit einem selber geschriebenen Algorithmus die damit maximal möglichen 812 Kombinationen von Melodien mit jeweils zwölf Tönen. Nach sechs Tagen Rechenzeit mit 300.000 Stücken pro Sekunde lagen schließlich 68.719.476.736 – in Worten: 68,7 Milliarden – Mehrtonfolgen vor. Der Name des Projekts: All the Music.
Wow #2: Gemeinfrei statt gemein
Damien Riehl und Noah Rubin wurden damit zum Copyright-Inhaber sämtlicher noch nicht erfundenen Melodien. Damit wären sie eigentlich gemachte Männer auf Lebenszeit. Stattdessen entschlossen sie sich zu einem ganz anderen Schritt: Um allen Komponisten das Leben zu erleichtern, erklärten sie die 68,7 Milliarden Musikstücke unter der Public Domain Mark von Creative Commons für gemeinfrei. Die Melodien stehen damit frei zur Nutzung bereit und – neben dem Algorithmus zur Berechnung – in einer 600 GB großen Datei zum Download zur Verfügung. Die ursprüngliche Zahl von acht Noten war übrigens nur der Anfang. Sie wurde mittlerweile auf zehn erhöht, weitere sollen folgen.
In diesem Vortrag anlässlich eines Tedx-Events erklärte Damien Riehl Ende Januar einem breiten Publikum erstmals die grundsätzliche Idee, technische Ausführung und möglichen Auswirkungen auf die Copyright-Problematik: https://www.youtube.com/watch?v=sJtm0MoOgiU
Ein Interview nach der Veranstaltung mit Damien Riehl und Noah Rubin geht noch etwas mehr ins Detail: https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=sfXn_ecH5Rw
Mich fasziniert an dieser Aktion die Idee an sich sowie die technische Ausführung und Bedeutung in Hinsicht auf die Copyright-Problematik. Wie und ob diese vor Gerichten Bestand hat bzw. grundsätzlich bewertet wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch völlig offen. Aber vielleicht gibt sie den Impuls dazu, dass das Thema mehr in das Bewusstsein rückt und Künstler ohne böswilligen Hintergrund vor Schadensersatzanforderungen geschützt werden.