Wie schreibe ich eine Geschichte? Diese Frage ist im Zeitalter der Textverarbeitung schwer zu beantworten. Denn seit man im wahrsten Sinne mit Texten jonglieren, sie ausschneiden, kopieren und die Textteile beliebig neu gruppieren kann, ist scheinbar alles möglich. Die althergebrachte Methode, sich eine Geschichte im Kopf zurechtzulegen und sie danach am Stück niederzuschreiben, scheint vor diesem Hintergrund obsolet.
Deswegen fordere ich an dieser Stelle, endlich eine neue App zu entwickeln: Die Schreibmaschine!
Es geht nicht um Textverarbeitung. Es geht um das Texten an sich! Und das muss dringend wieder von der Verarbeitung getrennt werden.
Wie war das denn vor dem Office-Zeitalter? Als ich Anfang der 80-er Jahre mit dem Journalismus anfing, war der erste Rat einer erfahrenen Redakteurin der folgende: Schreibe nie mit der Hand vor, sondern überlege dir erst, was du schreiben möchtest. Dann setze dich an die Schreibmaschine und schreibe es auf. Leichter gesagt als getan! Denn da war das Zeilenpapier, dass genau angepasst an die Schriftweite der Schreibmaschine 40 oder 60 Anschläge zuließ. Korrekturen mit Tippex waren möglich aber wenig sinnvoll. Denn das sah einfach Sch…. aus. Und Absätze streichen oder verrücken war schlichtweg unmöglich. So begann ein mühevoller Lernprozess. Ein Glück, dass man als Anfänger nicht die großen Geschichten bekommt und sich erstmal an kurzen Konzertkritiken oder ähnlichem bewähren muss. Dennoch dauerte es hunderte von zerknüllten Papierseiten, bis ich den Bogen raus hatte.
Es geht nicht darum, eine Geschichte im Kopf bis ins kleinste Detail vorzuformulieren und exakt zu strukturieren. Es geht darum, dass man eine Idee davon entwickelt, was die tatsächliche Geschichte ist. Das Interview zuvor mag sich strikt an der Zeitlinie entlang gehangelt haben, doch die darin verborgene Geschichte kann völlig anders aussehen. Deswegen dauert es oft viel länger, die Idee zu entwickeln, als sie dann tatsächlich aufzuschreiben. Bei schwierigen Themen kann mir diese Idee durchaus unter der Dusche oder beim Zähneputzen kommen. Aber in der Regel sitz ich vor meinem Bildschirm und tue sinnlose Dinge wie etwa nach dem Kontostand schauen oder auch auf dem iPad zu spielen. Ich gebe zu: Termindruck ist oft hilfreich, denn man neigt auch ab und an dazu, Zeit zu verschwenden. Aber wenn die Idee da ist, schreibe ich los.
Und ich beginne bei der Headline: Ich habe zwar gelernt, dass die Headline das absolute Privileg des Redakteurs ist und bei Medien wie der BILD zur Kunstform weiterentwickelt wurde. Doch für mich beginnt die Geschichte bei der Headline. Und sie endet, wenn sie zu Ende erzählt ist. Keine Zusammenfassung, kein Fazit! Die schönsten Geschichten schwingen nach, wenn sie ausgelesen sind. Das sollte man nicht künstlich durch Formalismen abwürgen.
Mit der Textverarbeitung lernt man dieses „Durchschreiben“ nicht, denn sie zwingt nicht zu einer disziplinierten Vorgehensweise. Ich habe KollegInnen, die ein Interview erst transkribieren, den Text zerlegen und aus den Teilen dann die Geschichte formen. Der Nachteil: Man gewinnt wenig Abstand zum Gesagten und verliert die größeren Zusammenhänge gerne mal aus den Augen. Die Geschichte wird sehr konkret, schafft es aber nicht auf ein höheres Level. Genau das ist es aber, was ich mit „Idee“ meine: Sich vom Gesagten zu lösen und eine echte „Geschichte“ zu entwickeln. Zugegeben: Das gelingt mir auch nicht immer. Aber wenn es gelingt, befriedigt es ungemein.
Deswegen: Solange es die Schreibmaschinen-App noch nicht gibt, versucht doch wenigstens ab und zu mal so zu tun, als wäre euer Word nur eine dumme, alte Schreibmaschine …