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Ich weiß ja: In journalistischen Beiträgen zählt Klarheit. Es geht um möglichst objektive Beschreibungen, Darstellungen und Berichte. Je weniger wertende und ausschmückende Adjektive und Adverbien, umso besser. Kurze, knappe Sätze mit höchstens 15 Wörtern seien ideal, sagt der deutsche Journalist, Sachbuchautor und Sprachkritiker Wolf Schneider. Dieser Tugend gewahr werden kann man größtenteils in den Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn dort muss zugehört bzw. zugesehen werden. Und das erschwert die Verständlichkeit gegenüber gelesenen Texten erheblich. Ich kann schließlich den Satz nicht noch einmal hören, wenn ich den Faden verloren habe.

Als PR-Arbeiter sind mir auch weitere positive Eigenschaften kurzer Sätze vertraut: ihr Tempo und ihre ordnungsverleihende Struktur. Die einfache Reihenfolge kurzer, von Satzpunktzeichen getrennter Aussagen erweckt den Eindruck geordneter Fügung von Sachverhalten. Zudem können sie Texten Geschwindigkeit verleihen. Denn je enger sich ein Punktsatzzeichen an das andere reiht, desto höher fällt die Taktzahl von Aussagen aus. Das Ergebnis: „Sie kommt die Treppe runter. Schon wieder dieses Krächzen hinter der Tür. Sie geht weiter. Der Schlüssel hängt neben der Tür. Plötzlich klingelt das Telefon. Von oben dringen Stimmen nach unten …“. Dieses Stilmittel (Gerade ist das passiert. Jetzt passiert das. Und jetzt ist schon wieder was passiert.) eignet sich daher nicht nur für dramatische Krimipassagen, sondern auch zur Auflockerung journalistischer Anwenderberichte oder Reportagen. Pressetexte – wie Pressemitteilungen, Fach- und Anwenderberichte – sind quasi ein ideales Biotop für kurze Sätze. Eindrucksvolle Beispiele dieser Eigenschaften gibt Der Wochen-Rückblick in Einfacher Sprache, in dem der Deutschlandfunk wichtige Ereignisse der letzten Woche äußerst verständlich zusammenfasst. Gerade bei so komplexen Themen wie Brexit, Israel-Konflikt und dem Ermittlungsstand um den amerikanischen Oberbestimmer sorgt diese Seite für erfrischende Klarheit. – So viel zu den kurzen Sätzen. Basta!

Eine Lanze für lange Sätze

Bei allen Vorzügen kurzgefasster Sätze verspüre ich mitunter dennoch eine große Neigung zu längeren Wortkaskaden und das derart, dass ich in manchen Pressemitteilungen plötzlich in einem Satz gefasste Ausführungen schreibe, die über vier Nebensätze und sechs Zeilen komma-, semikolon-, doppelpunkt- und gedankenstrichfreudig die Vorgänge, Zusammenhänge, Gründe und Konsequenzen einer neuen Software-Version in ausdrucksstarken Begriffen darzustellen sich bemühen, und dann auf hochgezogene Augenbrauen, mildes Lächeln oder energisches Kopfschütteln meiner korrekturlesenden Kolleginnen und Kollegen stoße, während sie noch mehr oder weniger wohlmeinende Kommentare an mich richten wie: „Mach zwei (drei, vier) Sätze daraus!“, „Transparente Reihenfolge beachten!“, „Thomas Mann und Produktvorstellungen passen nicht!“.

Es mag ja zutreffen, dass lange Sätze aufgrund ihrer Einschübe (Hypotaxe) und Abschweifungen (Parenthese) oft unverständlich seien und eher ruhig, gemächlich sowie auf Dauer ermüdend wirken. Das kann zutreffen, muss aber nicht! Mit fällt da eine Geschichte aus vergangenen, eher unfriedlich gestimmten Zeiten ein, die sich in kurzen Sätzen journalistisch dergestalt einleiten ließe:

Vormarsch stockt
Französische Truppen rücken deutlich langsamer voran als erwartet / Nur vereinzelt erbitterter Widerstand

Wie ein Gastwirt berichtet, hatten französische Truppen eine Gemeinde in der Nähe von Jena belagert. Sie nahmen an, es sei noch von der Armee des Prinzen von Hohenlohe besetzt. Daher rückten sie in kleinen Mannstärken nur vorsichtig voran. Tatsächlich war das Dorf aber bereits vom preußischen Militär verlassen. Ein im Dorf zurückgebliebener Reiter hingegen widersetzte sich ruhig entschlossen der herrschenden Stimmung von Wehrlosigkeit. ‚Wenn alle Soldaten so tapfer wie dieser preußische Reiter gewesen wäre, hätten die Franzosen verloren‘, so der Gastronom. (Fortsetzung Seite 3)

Dass Dramatik und Tempo, epische Breitwandsicht und zugespitzte Handlung auch in langen Sätzen gleichzeitig dargestellt werden kann, hat Heinrich von Kleist vor fast 209 Jahren sehr unterhaltsam bewiesen. Seine „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“ führt mit diesem einen einzigen Satz in die Kürzest-Novelle ein:

In einem bei Jena liegenden Dorf, erzählte mir, auf einer Reise nach Frankfurt, der Gastwirt, daß sich mehrere Stunden nach der Schlacht, um die Zeit, da das Dorf schon ganz von der Armee des Prinzen von Hohenlohe verlassen und von Franzosen, die es für besetzt gehalten, umringt gewesen wäre, ein einzelner preußischer Reiter darin gezeigt hätte; und versicherte mir, daß wenn alle Soldaten, die an diesem Tage so tapfer gewesen wären, wie dieser, die Franzosen hätten geschlagen werden müssen, wären sie auch noch dreimal stärker gewesen, als sie in der Tat waren.

Wie es weitergeht? Sehr dramatisch und auch wieder mit einem sehr sehr langen Satz am Schluss. – Hier ist’s nachzulesen: https://germanstories.vcu.edu/kleist/anekdote.html