Ein wichtiger Punkt im Wahlkampf unseres frisch gewählten Oberbürgermeisters Gunter Czisch hieß „Digitale Stadt“. Doch was bedeutet es eigentlich, in einer digitalen Stadt zu leben? Um zu verstehen, was sich im Alltag hinter diesem Begriff verbirgt, möchte ich einen Blick nach Estland werfen. Denn der nördlichste und kleinste der baltischen Staaten ist uns bei diesem Thema weit voraus.
In Estland ist der Internetzugang für jeden Bürger in der Verfassung festgelegt, beim Ausbau des Breitbandinternets nimmt das Land in Europa eine Führungsrolle ein und nahezu überall steht ein freier und kostenloser WLAN-Zugang zur Verfügung. Um digitaler Vorreiter zu werden, wurden jedoch nicht nur die technischen Voraussetzungen geschaffen: Jeder Bürger besitzt eine sogenannte Identitätskarte – ein Personalausweis, der zugleich Zugang zur digitalen Welt bedeutet. Mehr als 100 staatliche Dienstleistungen – wie wählen, ein Unternehmen anmelden oder die jährliche Steuererklärung – sind mit dem eigenen Ausweis innerhalb weniger Minuten erledigt. Auch im Alltag geht nichts ohne ihn. So werden beispielsweise die Besuche beim Arzt auf dem integrierten Chip registriert und die benötigten Medikamente nach ihrer Vorlage von der Apotheke ausgegeben, Flüge gebucht oder Verträge abgeschlossen. Um sie nutzen zu können, benötigen die Esten eine spezielle Software, ein Kartenlesegerät sowie zwei PIN-Nummern, denn die Daten auf der Karte sind umfangreich verschlüsselt und somit sicher. Das klingt nach einer heilen digitalen Welt.
Eine Regierung kann jedoch noch so viele Sicherheitsmaßnahmen vornehmen, eine Schwachstelle gibt es: die Person vor dem Bildschirm. Denn immer noch teilen zahlreiche Facebook-User beispielsweise einen Hoax, mit dem sie den Nutzungsrechten des Social Network-Giganten widersprechen. Dieser Spuk geht bereits seit Jahren und ist nur möglich, da sich ein Großteil der Bevölkerung seiner digitalen Verantwortung nicht bewusst ist. Wer macht sich wirklich die Mühe, die AGBs vor einem Download, Einkauf im Netz oder eben bei der Anmeldung in einem Portal der Sozialen Medien zu lesen? Ich gebe zu, dass ich ebenfalls zu oft einfach schnell „querlese“ oder den „Akzeptiert-Button“ anklicke. Da werden gedankenlos Bilder gepostet, persönliche Daten irgendwo eingegeben oder Beiträge – ohne nachzudenken – geteilt. Wenn wir so sorglos mit unseren Spuren im Netz umgehen, sind wir dann überhaupt schon bereit für eine digitale Stadt – oder Welt? Nun bin ich in der glücklichen Lage, zuhause zwei sogenannte „Digital Natives“ zu haben, die mich mit ihrem durchdachten Vorgehen im Netz immer wieder erstaunen – sie wachsen eben mit all den Vor- und Nachteilen des Internets auf. Meine Generation ist da so reingerutscht und alle vor mir tun sich bekanntlich nicht immer leicht damit. Dabei ist es wie in allen Bereichen des Lebens: Erst denken, dann handeln. Würden Sie jedem Fremden ein Bild Ihres Kindes zeigen? Nein? Warum stellen Sie es dann ins Internet?
Ich persönlich mag die Vorteile der digitalen Errungenschaften. Schon heute kann ich Termine im Servicecenter unserer Stadt oder sogar bei einigen Ärzten online verabreden, mein Wunschkennzeichen fürs Auto reservieren oder eine Rechnung schnell am Schreibtisch bezahlen. Mein Energieversorger muss niemanden zum Ablesen der Zählerstände schicken – das mache ich abends auf dem Sofa mit dem Rechner auf dem Schoß. Wie schön wäre es, die Steuererklärung innerhalb weniger Minuten auf die gleiche Weise zu erledigen. Wegen mir kann die digitale Stadt gerne kommen – ich zähle aber auch nicht zu den Menschen, die panisch auf jede Nachricht reagieren, dass die NSA meine Whats App-Nachrichten lesen kann. Denn was dort und sonst im Netz über mich zu finden ist, entscheide ich bewusst. Und wenn ich mir nicht sicher bin: recherchieren, die Kinder fragen oder einfach kurz darüber nachdenken. So sieht meine digitale Verantwortung aus.