„Was wird eigentlich von Corona bleiben?“ – diese Frage stellen sich sicher viele, insbesondere jetzt, da das Ende der Pandemie zumindest in groben Zügen erkennbar wird. Die Antworten hierauf sind so vielfältig wie individuell unterschiedlich. Während manch einer hofft, dass nun endlich die Digitalisierung in Schwung kommt, wünschen sich andere, dass es zu bleibenden Verbesserungen im Gesundheitssystem kommt. Optimisten sehen die Krise als Chance für große politische und soziale Reformen, während sich Pessimisten gewiss sind, dass die Menschheit auch hieraus nichts lernen wird. Doch neben all den großen Veränderungen von historischer Tragweite sollte eine kleinere, doch bleibende Entwicklung der Lockdown-Monate nicht vergessen werden: Sehr viele Menschen legten sich plötzlich ein neues Hobby zu.
Alleine in meinem persönlichen Umfeld wurden so aus bisher völlig normalen Menschen innerhalb weniger Wochen Bäcker, Handwerker und Gemüsebauern. Anstatt das staatlich verordnete Zuhausebleiben etwa dazu zu nutzen, ein gutes Buch zu lesen oder die Netflix-Watchlist abzuarbeiten, galt es nun, auch die heimische Sphäre „sinnvoll“ zu nutzen. Ich selbst nehme mich hiervon nicht aus. Denn nach Jahren als passionierter Hobby-Verweigerer, musste ich dem sozialen Druck schließlich doch nachgeben. Im Gegensatz zu Freunden und Familie, fokussierte ich mich dabei jedoch auf ein Gebiet, mit dem ich beruflich bereits des Öfteren zu tun hatte – der Zubereitung von Kaffee.
Früher war einfacher
Da ich bei Press’n’Relations beinahe täglich mit dem belebenden Heißgetränk zu tun habe – gleich drei Hersteller von Kaffeemaschinen finden sich unter unseren Kunden – konnte ich in den vergangenen zwei Jahren bereits einiges theoretisches Wissen zum Thema sammeln. In der Praxis stellte sich die Situation bis vor wenigen Monaten allerdings noch gegenteilig dar. Meine morgendliche Tasse Kaffee bereitete ich in der Regel recht lieblos zu. Günstiger, vorgemahlener Kaffee, zubereitet in einer alten Filtermaschine, entsprach völlig meinen Ansprüchen. Mein Kaffee-Equipment war dementsprechend minimalistisch. Nachdem also meine Entscheidung gefallen war, die Zubereitung eines sehr simplen Getränks grundlos massiv zu verkomplizieren, musste zuerst einmal angemessen nachgerüstet werden.
Je komplizierter desto besser
Da mir persönlich Filterkaffee schon immer sympathischer als Espresso war, stockte ich zunächst gezielt mein Brüh-Arsenal auf. Statt durch eine günstige Filtermaschine aus Kunststoff fließt mein „Pour Over“-Kaffee (wie man sagen muss, um sich unter Kennern nicht als völliger Neuling zu outen) heute durch feinste Keramik. Aufgegossen wird dabei selbstverständlich von Hand, mit Wasser das keinesfalls kochen darf. Zuvor habe ich die Bohnen natürlich exakt abgewogen und von Hand gemahlen (mit einem Keramik-Kegelmahlwerk, ganz wichtig!) und den Papierfilter bereits einmal gespült um unerwünschte Geschmacksstoffe auszuwaschen. Bevor das eigentliche Aufgießen beginnen kann muss das Kaffeemehl aber auf jeden Fall auch noch „bloomen“, also etwa 30 Sekunden mit etwas heißem Wasser ziehen. Erst dann wird das Endprodukt perfekt, weil…na ja, also…irgend so ein Kaffeeblogger sagt das eben. Wird schon stimmen.
Eingebildeter Genuss
Der aufmerksame Leser denkt sich nun vielleicht: „Das klingt aber nicht, als ob der sein Hobby ernst nimmt!“ Darauf muss ich erwidern: „Stimmt.“ Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht wirklich daran, dass mein absurd aufwändiger Morgenkaffee von heute viel besser ist, als der sehr einfache von gestern. Jedes Mal, wenn ich mich bei Coffee-Influencern und einschlägigen Blogs zum Thema über neue Trends informiere, amüsiere ich mich darüber, mit welcher Ernsthaftigkeit hier über Geschmacksnoten philosophiert wird, die vermutlich zu 90 Prozent der individuellen Einbildung entspringen. Meine unpopuläre Meinung hierzu: Kaffee schmeckt nach Kaffee – der Rest ist Placebo-Effekt.
Der Weg ist das Ziel
Warum mache ich mir also doch diese Mühe? Warum morgens extra etwas früher aufstehen, um die ganze Zeremonie, von der Bohne bis zum fertigen Getränk, abzuhalten? Ich denke, die Erklärung hierfür liegt nicht im Kaffee selbst, sondern im Drumherum. Die langwierige Zubereitung mit unnötig vielen Einzelschritten ist ganz einfach ein angenehmes Morgenritual. Während das Gehirn noch langsam hochfährt, kann man bereits ein paar immer gleiche Handgriffe verrichten, die den Körper in Schwung bringen. Insbesondere das Mahlen per Hand ist praktisch ein Ersatz für Morgengymnastik. Und wenn man sich dann endlich die erste Tasse des Tages einschenkt, ist man eigentlich schon wach.
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