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Deutschland: Das Land von Angela Merkel, teuren Autos, Sauerkraut und einer teilweise harten Geschichte. Dank Goethe, Beethoven und Brecht haben wir ein reiches kulturelles Erbe an Musik, Poesie und Theater. Nietzsche, Marx und Adorno inspirierten uns über alles von Gott über die Medien bis zum Kommunismus nachzudenken, und wenn wir nicht gerade fragwürdigen deutschen Rap hören, schauen wir sonntags Tatort und beschweren uns.

Unter anderem sind wir dafür bekannt pünktlich, rücksichtslos effektiv und leicht neurotisch zu sein sowie rigoros Regeln einzuhalten. Und, vor allem für ausländischen Unternehmen, die mit dem Gedanken spielen, sich in Deutschland niederzulassen, ist Deutschland dafür berüchtigt, ein extrem schwieriger und einzigartiger Markt zu sein.

In diesem Artikel teile ich sechs Geheimnisse, die ich durch umfangreiche Recherche und Erfahrungen aus erster Hand aufgedeckt habe, die bei der Entwicklung einer Markteinführungsstrategie in Deutschland beachtet werden sollten. Und das Beste? Diese Tipps, die von kulturellen Faktoren bis Verhaltensweisen alles beinhalten, gelten für jedes Unternehmen.

01 Die Macht der traditionellen Medien

Besonders wenn man zuvor in technisch eher fortschrittlichen Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden agiert hat, muss man bei Markteintritt in Deutschland eines beachten: Deutschland nimmt innerhalb der westlichen Nationen eine einzigartige Position ein. Das Land hat nicht nur den größten Zeitungsmarkt Europas (und den fünftgrößten in der ganzen Welt), die Deutschen sahen 2017 auch noch durchschnittlich 217 Minuten pro Tag fern. Zudem ist die Internetgeschwindigkeit vergleichsweise gering und es gibt eine ausgeprägte digitale Kluft zwischen Stadt und Land sowie zwischen Jung und Alt. Ältere Menschen und Menschen in ländlichen Gebieten nutzen das Internet deutlich weniger als ihre jüngeren und/oder eher städtischen Pendants. Dies hat nicht nur mit der tatsächlichen Infrastruktur zu tun, sondern auch mit der Möglichkeit zum Wissensaustausch. Das bedeutet, dass viele, oft ältere Menschen in ländlichen Gebieten, nicht nur nicht wissen, wie das Internet funktioniert, sondern sich oft auch gar nicht bewusst sind, wie und warum das Internet für sie von Nutzen sein kann. Für Sie bedeutet dies zwei Dinge:

  1. Je nachdem, wer die Zielgruppe für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung ist, müssen Sie bei der Entwicklung einer Marketingstrategie die traditionellen Medien im Auge behalten. Natürlich verfügt nicht jeder über genug Budget, um Fernseh- und Radiowerbung zu produzieren und platzieren. Aber es gibt viele Möglichkeiten, die traditionellen Medien zu nutzen, ohne ein Vermögen auszugeben. Durch PR und clevere und ansprechende Pressemitteilungen können Sie in den Zeitungen viel Aufsehen für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung erregen (Vorsicht vor „native advertising“, Werbung die, bis auf einen kleinen Button, aussieht wie redaktioneller Inhalt – diese löst oft Unmut und Misstrauen aus). Auch wirkungsvoll, aber generell billiger: Out-of-Home-Werbung (OOH). Sie reicht von physischen bis hin zu digitalen Plakaten, Flyern und Bannern. Hier ist vor allem die Platzierung wichtig: Arbeiten Sie für ein Unternehmen im Bereich Musik? Dann lassen Sie Ihre Flyer und Plakate bewusst in Musiklokalen, Bars, Plattenläden oder sogar in Proberäumen platzieren. Auf diese Weise treffen Sie die richtigen Menschen genau dort, wo sie sich aufhalten und angesprochen fühlen. Ansprechendes Design ist natürlich ein Bonus.
  2. Auch wenn nicht genug Budget und/oder Zeit da ist, um traditionelle Medien zu nutzen und Sie ihre Marketingstrategie auf digitalen Werbemitteln und soziale Medien aufbauen, gibt es hier eine wichtige Erkenntnis: Sollten sie eine ältere, oder anderweitig weniger technologieaffine, Zielgruppe über das Internet nicht effektiv erreichen, ist es vielleicht nicht unbedingt Ihre Schuld. Hier ist dann Kreativität gefragt, um zu diesen Menschen durchzudringen.

02 Die langsamen Adoptionsraten

Lassen Sie uns ein kleines Spiel spielen. In welchem Jahr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel folgenden Satz gesagt: „Das Internet ist für uns alle noch Neuland“.

Wenn Sie „Anfang der 2000er Jahre“ antworten würden, würden Sie sich irren. Sie sagte diesen Satz im Jahr 2013, also vor nur sieben Jahren. Und obwohl dies bei den Deutschen im Internet für viele Lacher gut, ist es auch ein klares, leidvolles Zeichen dafür, wie langsam die Deutschen bei der Einführung neuer Technologien sind. Ein Grund, über den ich im nächsten Punkt noch ausführlicher schreibe, ist kultureller Natur: Vertrauen ist etwas, das man sich verdienen muss. Aber die Deutschen haben auch eine ganz besondere Einstellung zu Neuheiten: warum soll man denn etwas erneuern, wenn die alte Version noch wunderbar funktioniert? Das bedeutet, dass jede neue Technologie nicht nur ihren Nutzen beweisen, sondern auch eine echte Verbesserung gegenüber dem Status quo darstellen muss, um die wahrscheinlich misstrauischsten Menschen der Welt zu überzeugen. Keine leichte Aufgabe.

03 Wie Vertrauen mühsam errungen werden muss

Deutschland ist ein sehr individualistisches Land. Das bedeutet, dass Menschen sich generell zuerst auf ihre unmittelbare Familie und enge Freunde achten, bevor sie sich um das Wohl der Gemeinschaft sorgen.

Von Zeit zu Zeit können die Deutschen ein bisschen neurotisch sein. Egal, wie oft Sie ihnen sagen, wie sehr ihnen Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung zugute kommen kann, oder beteuern, dass Sie es wirklich gut meinen: Manchmal wollen sie es einfach nicht hören. Sie ziehen es vor, die Produkte zu benutzen, die sie immer schon benutzt haben und die Dinge so zu regeln, wie sie immer schon geregelt wurden. Und warum? Weil das Alte eben schon vertraut ist.

Und wenn es etwas gibt, was die Deutschen generell weniger zu schätzen wissen, dann ist es das Unbekannte. Das bedeutet, dass Vertrauen unglaublich langsam entsteht und über die Zeit hinweg gewonnen werden muss (in den nächsten Abschnitten mehr dazu). Ein weiterer Nebeneffekt dieses Misstrauens ist auch, dass die Deutschen dazu neigen, Marken und manchmal sogar einzelnen Produkten gegenüber ziemlich loyal zu sein. Sie widersetzen sich Veränderungen und wollen an den Marken, Produkten, Lösungen etc. festhalten, an die sie sich so lange gewöhnt haben.

Für internationale Firmen, die sich in Deutschland niederlassen wollen, bedeutet das, dass viel Zeit und Mühe in das Verständnis, die Kommunikation und den Aufbau einer Beziehung zum Verbraucher investiert werden muss. Wenn diese Beziehung dann erst einmal steht, können regelmäßige Kommunikation und Taktiken wie das Retention-Marketing eingesetzt werden, um diese Beziehungen aufrechtzuerhalten.

04 Die Nachfrage nach Wert und Produktnutzen

Wie im letzten Tipp erwähnt, sehen die Deutschen oft nicht die offensichtliche Verbesserung, die Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung in ihrem Leben bewirken können. Umso wichtiger ist es, dass Sie nicht nur den Nutzen Ihres Produktes oder Ihrer Dienstleistung vorstellen, sondern auch das Wieso, Weshalb, Warum erklären.

Die Deutschen, die als eines der weniger emotional geprägten, viel rationaleren Länder bekannt sind, lieben direkte, ehrliche Kommunikation. Natürlich lieben die Deutschen auch Werbung, die Emotionen hervorruft oder einen gewissen Lifestyle vermarktet, insbesondere solche, die mit Elementen wie Erfolg und Geld arbeitet. In den meisten Produktkategorien bevorzugen sie jedoch Marketingbotschaften, die sich auf Fakten und Ehrlichkeit konzentrieren und die nicht verwirrend sind. Enthält die Feuchtigkeitscreme Ihrer Marke Vitamin E? Dann sagen Sie es Ihren deutschen Verbrauchern sofort! Und wenn Sie schon dabei sind, erklären Sie auch genau, wie sich ihre Haut dadurch verbessern wird. Vergewissern Sie sich, dass Ihre Angaben zu 100 % korrekt und auch nachweisbar sind, und zögern Sie nicht, Experten oder prominente Unterstützer heranzuziehen, um diesen Punkt zu verdeutlichen. Die Deutschen haben Respekt vor Regeln und Hierarchie, was Experten umso glaubwürdiger macht.

05 Die Relevanz der Sicherheit

Die langsamen Adoptionsraten neuer Technologien, die ich in Tipp 2 detailliert habe, haben eine zentrale Ursache: Die Deutschen sind sehr mit Fragen der Sicherheit beschäftigt – viel mehr als ihre amerikanischen oder sogar europäischen Gegenstücke. Damit ist natürlich meist die physische Sicherheit gemeint, aber zunehmend auch der Datenschutz im Internet.

Die Europäische Union verfügt über eine der stärksten Datenschutzbestimmungen der Welt und wird nach Ansicht von Experten die Diskussion über den Umgang mit Daten in den nächsten zehn Jahren stark prägen. Insbesondere ein Land hat bei dieser Entwicklung als eine Art Katalysator gewirkt: Deutschland. Das bedeutet zwar große Schritte in Richtung einer Welt, in der Big Tech sich mehr Regulierungen und Kontrolle unterwerfen muss, aber es hat auch deutliche Nachteile. Zum Beispiel hängt Deutschland bei einigen Technologien, wie z.B. der Künstlichen Intelligenz, deutlich hinterher.

Was bedeutet das für Sie? Das hängt von vielen Faktoren ab. Fragen, die Sie sich stellen können: Handelt es sich bei Ihrem Angebot um ein Produkt oder eine Dienstleistung? Hängt Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung vom Internet, von der Datenspeicherung o.ä. an? Verkaufen Sie hauptsächlich über das Internet oder über Einzelhandelsgeschäfte? In all diesen Fällen ist es wichtig, nicht nur die europäischen, sondern auch die deutschen Datenschutzgesetze im Auge zu behalten. Diese können manchmal leicht abweichen. Entscheiden sie also mit viel Vorsicht, wie Sie Daten, wie z.B. persönliche Daten und Zahlungsinformationen, GPS-Signale oder Suchverhalten sammeln und speichern

Und schließlich: Bedenken Sie, dass insbesondere dann, wenn Sie auf neuere Technologien setzen, mit denen die Menschen vielleicht noch nicht so vertraut sind, oder wenn Sie mit sensibleren Daten (z.B. medizinischen Daten) arbeiten, Menschen Bedenken haben könnten. Sie können diese Bedenken in Form von Kommentaren, Mitteilungen, Rezensionen äußern. Aber noch gefährlicher ist, dass sie vielleicht nichts sagen und einfach nie wieder etwas von Ihnen kaufen. Um dies zu verhindern, versuchen Sie, ihnen einen Schritt voraus zu sein und Vertrauen aufzubauen, indem Sie transparent machen, wie Sie die Kunden selbst und ihre Daten schützen.

06 Die Liebe zu Effizienz und Leistung

Für meinen letzten Tipp möchte ich mich auf zwei sehr ausgeprägte deutsche Stereotypen konzentrieren: Pünktlichkeit und Effizienz. Die Deutschen bauen einige der leistungsstärksten Autos (und fahren sie manchmal auch), wie Mercedes, Audi und Porsche, um nur einige zu nennen. Diese Art von „Über-Effizienz“ ist weltweit bekannt und hat viele Länder dazu veranlasst, sich zu fragen, warum ihre Wirtschaft nicht so leistungsfähig ist wie die Deutsche. Aber alles hat seinen Preis: Die deutsche Produktivität ist auch mit einer unmenschlichen Menge an Bürokratie verbunden, die teilweise fast alles verhindern kann, von der Innovation bis hin zur Karriere als Gondoliere.

Wenn man in Deutschland tätig ist, ist dies eine Einstellung, die man im Auge behalten sollte. In vielerlei Hinsicht fasst sie einige der oben genannten Punkte zusammen: Damit etwas angenommen wird, insbesondere wenn das derzeit verwendete Produkt „gut genug“ ist, muss es einwandfrei funktionieren und eine deutliche Verbesserung darstellen. Viele Verbraucher in Deutschland wollen, dass das Unternehmen, von dem sie kaufen, nicht nur das Wohl des Verbrauchers, sondern das gesamte Ökosystem im Auge hat. Und sie müssen darauf vertrauen können, dass ihr Geld, ihre Daten und ihre persönlichen Informationen in sicheren Händen sind.

Dieser Blogbeitrag erschien im englischen Original in Lena Pagel’s Blog

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