Vor ziemlich genau fünf Jahren saß ich wie heute an meinem Schreibtisch in der Magirusstraße und wollte wissen, wie sich die Parteien kurz vor der Bundestagswahl denn so in den Sozialen Medien schlagen. Nur wenige waren dort vertreten und auf den Kanälen war auch nichts los. Instagram hat damals überhaupt keine Rolle gespielt. Ich schloss den Beitrag mit den Worten: Mal sehen, was uns der Wahlkampf 2021 bietet – bei der rasanten Entwicklung, die die sozialen Medien hinlegen. Bis dahin: Nicht vergessen, am 24. September wählen gehen!
Nun, wir sind im Jahr 2021 angekommen und die Welt hat nicht nur vier Jahre Trump überstanden: Letztes Jahr hat es ein kleiner, gemeiner Virus geschafft, einfach mal den gesamten Globus lahm zu legen. Die Nutzung von Social Media erhöhte sich infolgedessen natürlich. Schließlich saß der Großteil der Bevölkerung zuhause rum und hatte viel mehr Zeit als sonst. Was machen die Spitzen-Kandidaten der kommenden Bundestagswahl also aus den Chancen, die ihnen die sozialen Medien bieten? Bei meiner Recherche dazu musste ich dieses Mal aber nicht lange suchen. Denn das Innovation Lab vom Tagesspiegel hat gemeinsam mit der NGO Democracy Reporting International ein Projekt aufgesetzt, das eine immer aktuelle Live-Analyse bietet: Das Social Media Dashboard zur Bundestagswahl 2021. Beobachtet werden Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Die Grünen), Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP), sowie Alice Weidel und Tino Chrupalla (beide AfD). Janine Wissler und Dietmar Bartsch von den Linken stehen ebenfalls auf der Liste.
Die Politik ist aufgewacht
Facebook, Instagram und Twitter sind fester Bestandteil im Wahlkampf. Dietmar Bartsch ist der einzige Kandidat, der auf Instagram verzichtet. Einen eigenen Youtube-Kanal haben hingegen nur drei zu bieten: Baerbock, Lindner und Weidel. Dennoch liegt Bartsch auf Platz drei bei der Anzahl der Gesamt-Posts hinter Lindner und Scholz. Dieser belegt aber nicht nur bei der Anzahl aller Posts den ersten Platz: Der SPD-Kandidat veröffentlicht auch auf Instagram und Twitter mehr Beiträge als seine Konkurrenten. Spannend – oder eher erschreckend – ist, wer am meisten Resonanz auf seine Aktivitäten erhält. Die Bestplatzierte ist hier ausgerechnet Alice Weidel. Das lässt sich einfach damit erklären, dass sie nicht nur die meisten Follower auf Facebook hat, sondern auf diesem Kanal mit Abstand die meisten Likes, Kommentare und Shares vorweisen kann. Es ist schockierend, dass ihre Posts in den letzten zwölf Wochen knapp 440.000-mal geteilt wurden. Bei Twitter und Instagram hat hier Baerbock allerdings die Nase vorne. Der Posting-König Scholz gewinnt, trotz seiner Mühen in dieser Disziplin, leider keinen Blumentopf. Liegt wohl daran, dass er bei der Anzahl der Follower auf allen Kanälen auf Platz fünf liegt. Lindner kann die meisten Anhänger auf Twitter vorweisen, Baerbock auf Instagram.
Von Emojis bis Hashtags
Das Dashboard geht aber noch mehr ins Detail und zeigt, welche Emojis die Kandidaten in diesem Jahr bisher am häufigsten genutzt haben: Laschet steht eindeutig auf Flaggen, Scholz, Bartsch und Lindner lassen digital gerne die Muskeln spielen, während Baerbock und Wissler mit Fotoapparat, Herzchen und Blumen eindeutig die Mädchen in der Runde sind. Spaßig wird es bei Emojis, die User in Kommentaren über die Politiker nutzen. Der tränenlachende Smiley ist bei allen zu finden, der erschreckt blickende kleine braune Haufen jedoch nur bei den Vertretern der AfD – irgendwo sitzen also doch noch Social Media-Nutzer, die sich gegen rechts platzieren. Die von allen Kandidaten am häufigsten in ihren Posts benutzten Wörter sind neben „Deutschland“ und „Mensch“: „brauchen“ und „Bürger“. In den Kommentaren über die Spitzenpolitiker finden sich hauptsächlich die Begriffe „wählen“ und „sehen“. Ersterer leuchtet mir ein, aber was die Social-Media-Nutzer so alles sehen, ist mir bisher nicht ganz klar. Selbst Hashtags sind in diesem Wahlkampf angekommen und da sind die Damen und Herren – oder ihre Kommunikationsteams – schon deutlich kreativer: Laschet nutzt #guterplan besonders gerne, Baerbock macht mit #allesistdrin Mut, und Scholz setzt auf #mindeststeuer. Lindner kämpft offensichtlich um die #freiheit, während Wissler selbstverständlich #solidarität besonders wichtig ist. Und die Blauen? Die halten sich bei den Hashtags eigentlich zurück. #corona findet sich ab und an wieder, aber wer keine wirklichen Themen hat, muss eben auf altem Kram rumreiten.
Bewegtbild ist ja beliebt
Zu guter Letzt beleuchtet das Dashboard die populärsten Posts der Kandidaten sowie die beliebtesten Youtube-Videos – natürlich nicht, ohne auch hier zu schauen, was denn über sie gepostet wird. Auffällig ist, dass alle sehr viel Wert auf gutes Bildmaterial legen. Kein Vergleich zur letzten Bundestagswahl, als die meisten Plattformen der Politiker nicht wirklich gut gepflegt waren. Gut, Lindner war in dieser Art der Selbstdarstellung schon damals allen voraus – aber lassen wir das. Einen Youtube-Kanal haben, wie bereits erwähnt, lediglich Baerbock, Lindner und Weidel, aber genutzt wird er nur von der AfD-Politikerin. Bei den beiden anderen Kandidaten ist in den letzten vier Wochen nicht ein einziges Video veröffentlicht worden. Weidel mag den Kanal aber anscheinend, um mithilfe ihres mephistophelischen Geschwurbels und Geschwafels eine bedrohliche Stimmung zu erzeugen. Videos über die Kandidaten findet man allerdings massenhaft. Aus allen Ecken wird da gelästert, um die einzelnen Kandidaten lächerlich zu machen. Oft wird auch einfach gelogen. Ich bin froh, dass mittlerweile auch die öffentlich-rechtlichen Sender in Social Media aktiv sind, sodass auch Videos mit überprüften Fakten ihren Platz in diesem Ranking einnehmen.
Der Wahlkampf hat sich also auch in Deutschland verändert. Alle Spitzenkandidaten sind in den sozialen Medien vertreten und posten sogar fleißig. Sie haben erkannt, dass sie die Bürger dort besser erreichen als bei öffentlichen Veranstaltungen. Dazu trägt natürlich auch die Pandemie bei. Was diese in Zeiten des Lockdowns deutlich gemacht hat, gilt aber leider nun auch im Wahlkampf: Der Ton in den vielen Posts der User ist rau, aggressiv und furchtbar populistisch. Die Politiker halten – bis auf die bekannte Ausnahme – glücklicherweise mit Fakten entgegen, aber Sorgen macht es mir persönlich dennoch. Die Medaille hat eben immer zwei Seiten.
Und weil ich Traditionen mag, kommt zum Schluss noch: Nicht vergessen, am 26. September wählen zu gehen oder rechtzeitig die Unterlagen für die Briefwahl anzufordern!