Ob Familienausflug oder Reportage – oft kehre ich mit einem Berg an Aufnahmen zurück und sage zu mir nach der Auswahl der Bilder (siehe auch „Guter Schnappschuss oder Ausschuss? Fotos leichter selektieren“): Da muss doch noch mehr gehen. Und meistens ist das auch so. Selbst Profis legen nach der Belichtung oft noch Hand an, um ihre Fotos aufzuarbeiten. Aber hier soll nicht vom Postprocessing im Sinne von Retuschen und Farbkorrekturen die Rede sein, sondern vom richtigen Bildzuschnitt bzw. Bildausschnitt. Denn die Ränder Ihres Fotos sind zugleich sein Rahmen – eine Begrenzung, die mit dem Motiv in starker Wechselbeziehung steht.
Beim Fotografieren an den Bildausschnitt denken
Die meisten Digitalkameras haben Pixel satt. Das bietet Reserven für das Zuschneiden des Bildes. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich meine nicht, nachträglich Details aus Fotos „rauszuzoomen“, die nur klein sind, weil kein Teleobjektiv zur Hand war. Ich meine das Optimieren des Bildes, wenn die Bildkomposition nicht perfekt ist. Bei meinen Bildern ist zum Beispiel das bildwichtige Element häufig zu mittig arrangiert. Das sieht langweilig aus. Durch geschicktes Zuschneiden der Bildränder rutscht das Motiv an die richtige Stelle.
Vielleicht hat ein Foto auch bewusst mehr „Drumherum“, weil seine Verwendung noch ungewiss ist. Wenn Ihr Grafiker zum Beispiel neben dem Porträt eines Interviewpartners noch Text ins Bild setzen möchte, ist er für „Freifläche“ dankbar. Auch wenn im Aufmacher-Bild eines Reise-Fotobuchs eine Überschrift Platz finden soll, ist ein mehr an Himmel oft wünschenswert. Steht das Foto jedoch für sich, sollten Sie den Bildausschnitt nach ästhetischen Gesichtspunkten wählen.
Je nach Motiv und Verwendungszweck des Bildes sind durchaus mehrere Bildformate denkbar. Wer noch eine Beschriftung oder einen Titel im Bild anordnen möchte, sollte der Grafik „Freiraum“ lassen und nicht zu knapp ausgeschnittene Motive liefern.
Portrait und landscape
Hoch oder quer ist die Frage. Das Quadrat lasse ich mal aus, denn es eignet sich hautsächlich für Motive, die quasi keine Orientierungsrichtung haben – und die sind selten.
Das Hochformat (engl: portrait) kommt vor allem in Frage, wenn das Motiv sich gen Himmel streckt. Ob stehender Mensch, Straßenlaterne oder Giraffe – der Dreh der Kamera um 90 Grad geschieht bei solchen Motiven meist intuitiv.
Häufiger fotografieren wir im Querformat (engl: landscape), das unserer Wahrnehmung sehr gut entspricht – nicht umsonst setzen Kino und TV aufs Querformat. Zudem bietet es vielen Motiven den passenden Raum. Bergpanorama, Mannschaftsfoto, Pferderennen … unzählige Motive schreien quasi nach dem Querformat. Neben dem 4:3-Format einfacher Digitalkameras und dem beliebten 3:2-Format, das schon der Kleinbildfilm bot, sind zunehmend auch das TV-typische 16:9 sowie Panoramaformate beliebt. Sehr harmonisch wirkt in vielen Fällen das 3:2-Format (das übrigens annähernd den Proportionen eines aufgeschlagenen Magazins entspricht).
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Je nach Verwendungszweck kann es sinnvoll sein, beim Bildzuschnitt oder bei der Aufnahme von der „Norm“ abzuweichen. Beispielweise weil Sie das Hochformat für die rechte Anlaufseite eines Artikels benötigen. Oder weil die andere Orientierung des Bildrahmens Spannung ins Bild bringt und der „ungewohnte“ Rahmen dem Motiv mehr Dynamik verleiht.
Zum Beispiel kann das Querformat die Wirkung bei Porträts immens steigern (muss es aber nicht!). Probieren Sie es aus und seien Sie mutig beim Ausschneiden: Hier kommt es nicht auf die Frisur an, sondern auf das, was das Gesicht ausmacht: Augen, Mimik, Blick… Ein weitere Vorteil querformatiger Porträts: Oft passt mehr Gesicht auf die nutzbare Bildfläche – das kann zum Beispiel wichtig sein, wenn Sie ihre digitale Identität mit einem Porträt aufwerten möchten. Um niemanden durch meine Zuschneideexperimente vor den Kopf zu stoßen, demonstriere ich die Wirkung des Querformats an „Sandra Sunglass“, die mir beim Schaufensterbummel Modell stand. (Gute Beispiele finden sich bei heiseFoto: Headshots: Weder Passbild 2.0 noch klassisches Porträt und Headshots – Porträts für die digitale Identität.)
Bei ähnlicher Fläche bietet das Querformat oft mehr Platz für das Gesicht und lässt Raum für den Blick. Probieren Sie den ungewohnten Bildzuschnitt an echten Porträts (ohne Sonnenbrille) aus – Sie werden überrascht sein, wie intensiv manche Porträts im Landscape-Format wirken.
Dezentrale Platzierung rückt das Motiv in den Mittelpunkt
Ich hatte es eben schon erwähnt: Das zentrale Platzieren eines Motivs wirkt oft langweilig. Nur wenn die Symmetrie es erfordert, ist die zentrale Ausrichtung reizvoll, zum Beispiel wenn eine Spiegelung präsentiert wird oder wenn die Symmetrie durch andere Elemente wieder „gebrochen“ wird.
Harmonie durch den Goldenen Schnitt
Im überwiegenden Teil der Fotos wirkt es angenehmer, Hauptmotiv(e) außermittig anzuordnen. Menschen mögen es, wenn das Motiv nach den Regeln des Goldenen Schnitts angeordnet ist. Der Goldene Schnitt beschreibt die Aufteilung einer Strecke in zwei Teilstrecken a und b nach folgender Formel: a/b = (a+b)/a. Anders ausgedrückt: Die Teilstrecke a nimmt etwa 62 % der Gesamtstrecke in Anspruch, b ca. 38 %. Eine Proportion, die sich in etwa auch beim menschlichen Körper wiederfindet, zum Beispiel beim Längenverhältnis von Handfläche und Fingern, Ober- zu Unterschenkel etc.
Einfach und wirkungsvoll: Die Drittelregel
Klingt zu kompliziert? Kein Problem – die Drittelregel ist einfacher. Bei der Komposition nach der Drittelregel hilft sogar oft der Fotoapparat: Bei vielen Kameras lässt sich ein entsprechendes Gittermuster im Sucher oder auf dem Monitor einblenden.
Bei Anwendung der Drittelregel wird die Bildfläche in Höhe und Breite gedrittelt. Bildwichtige Elemente sollten sich auf den Linien oder an Kreuzungspunkten der Linien wiederfinden. Bei folgendem Beispiel sorgt der Bildzuschnitt dafür, dass der Horizont nicht mehr auf halber Höhe des Bildes liegt, sondern der belanglose Himmel in etwa nur das obere Drittel des Bilds belegt. Der Pferdekopf wiederum befindet sich nahe dem unteren rechten Linienschnittpunkt.
Ein Zuschneiden des Bildes beseitigt mehrere Schwächen: Die Fläche von Himmel und Wiese sind nach dem Zuschneiden nicht mehr gleichgewichtet und das Pferd rückt stärker in den Fokus. Nebenbei sind störende Elemente (die senkrechten Masten) herausgeschnitten.
Richtungsvektoren beim Bildzuschnitt beachten
Das Einhalten der Drittelregel ist aber nur die halbe Miete, denn viele Motive haben auch eine Richtung, die dem Bild sozusagen einen Vektor verleiht. Das kann die Ausrichtung einer geometrischen Form sein (die Spitzen eines Dreiecks oder bei einem Kegel der Vektor von der Basis zur Spitze), der Arm eines Menschen oder ein Werkzeug, die Haltung eines Menschen oder auch nur seine Blickrichtung. Wer Ruhe im Bild anstrebt, sollte den Vektoren Raum geben.
Das eigentliche Bildmotiv sollte nicht mittig platziert werden, sondern nach den Regeln des Goldenen Schnitts oder – was leichter anzuwenden ist – anhand der Drittelregel und unter Berücksichtigung von Richtungsvektoren (hier die Blickrichtung des Vogels).
Drittelregel beim Hochformat
Schneidet man das Vogelfoto im Hochformat zurecht und wendet die Drittelregel an, wird schnell deutlich, wie viel Platz die Blickrichtung im Bild beansprucht.
Das Beachten der Drittelregel allein genügt nicht. Auch die „Vektoren“ im Bild – hier die Blickrichtung des Vogels – ist zu beachten. Der Vektor (hier in Blickrichtung) sollte für einen harmonischen Bildaufbau Platz im Bild haben und nicht „an die Bildkante stoßen“.
Hier ist der Vogel durch den Bildzuschnitt ebenfalls außermittig platziert, aber der Blick fällt sozusagen in einen Freiraum.
Bild-Vektoren in Szene setzen
Die Wirkung einer vom Motiv vorgegeben Vorzugsrichtung zeigen auch die beiden Fotos, die bei der Beobachtung einer Familie beim Schwänefüttern entstanden: Beim ersten Motiv schauen zwar viele der Wasservögel nach links, die helle Schwanengruppe und vor allem die senkrechten Schwanenhälse lenken jedoch stark von der Hauptblickrichtung ab. Die Perspektive von oben zeigt die „Blick-Vektoren“ in Richtung Futter deutlicher.
Bei diesem Foto ist zwar offensichtlich, dass die Wasservögel sich energisch um das Futter bemühen, aber wie stark der Wettbewerb ist, wird erst durch eine andere Perspektive und einen knappen Bildausschnitt (siehe unten) deutlich.
Der Rahmen im Rahmen
Nicht immer ist der Rand des Fotos der einzige Rahmen, auch im Bild kann sich ein geeigneter Rahmen befinden. Der Blick durch ein Tor auf einen Platz, die Sicht unter einer Baumkrone hindurch auf eine Lichtung, ein Gesicht im Wandspiegel und vieles mehr geben dem Bild durch Einbeziehen des Vordergrunds bzw. Rahmens eine andere Aussage. Bei dem folgenden Foto wollte ich meinen Verwandten zeigen, dass wir einen Ausflug mit einem britischen Doppeldecker-Bus gemacht haben. Hätte ich nur den grünen Ausschnitt gezeigt, wäre dies nicht so offensichtlich gewesen.
Ohne den Bereich außerhalb des grünen Rahmens wäre nicht so schnell zu erkennen, dass das Bild auf eine Busfahrt entstanden ist.
Recherche-Tipp
Wer mehr über Bildkomposition und -wirkung erfahren möchte (und schönere Bildbeispiele sehen), dem seien zum Beispiel die Bücher von Michael Freeman empfohlen (z.B. das ältere Buch „Der fotografische Blick – Bildkomposition und Gestaltung“, erschienen bei Markt+Technik). Die Bildergalerien von Freeman geben bereits etliche gute Beispiele, wie Form, Farbe, Kontrast und vieles mehr im Bildausschnitt perfekt arrangiert werden können, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken – manchmal übrigens erst auf den zweiten Blick, denn Freeman nutzt oft Elemente, um den Blick des Betrachters im Bild zu führen.
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