Meine Augen tränen, mein Hals kratzt und mein Kopf fühlt sich an, als hätte man mit einem Vorschlaghammer darauf eingeschlagen. Okay, letzteres mag vielleicht etwas übertrieben klingen, aber im Großen und Ganzen beschreibt der erste Satz das Krankheitsdelirium, in welchem ich mich letzte Woche befand, eigentlich ganz gut. Nein, diesmal gelang es mir leider nicht, wie sonst, die sich anbahnende Krankheit mittels homöopathischen Mittelchen und Teetrinken schon im Keim zu ersticken. Anstatt an meinem Schreibtisch zu sitzen und den Stapel Tageszeitungen, der sich die Woche über angesammelt hat, nach „clippbarem Material“ zu durchsuchen, lag ich daheim und fühlte mich wie ein Häufchen Elend. Während meine T-Killerzellen versuchten den Erregern in meinem Körper den Garaus zu bereiten, war ich gedanklich bei meinem Blogbeitrag, der eigentlich schon längst hätte online gehen sollen. Da ich mich aber – von schlafen und essen jetzt mal abgesehen – nicht wirklich in der Lage fühlte irgendetwas zu tun, blieb auch der Prakti-Blog erst mal auf der Strecke. Doch heute, wo ich mich wieder lebendig fühle (meine Antikörper haben volle Arbeit geleistet), kann ich endlich – wenn auch mit etwas Verspätung – meinen vierten Blogbeitrag präsentieren. Nur noch eins vorweg: Die Headline ist nicht etwa das Ergebnis mangelnder Kreativität, sondern hat etwas mit meinem Thema zu tun. Aber lest selbst:
Etwa eine Viertelstunde stand ich vor einem Gemälde in der National Gallery of Modern Art, im Herzen Edinburghs und analysierte es von oben bis unten. So lange bis meine Augen, gefolgt von meinem Körper, in den nächsten Raum wanderten. Gerade als ich auf die Ausstellung von Roy Lichtenstein zusteuerte entdeckte ich etwas an der Wand, was mich augenblicklich ins Jahr 2015 zurückversetzte – oder besser gesagt in die Theoriestunden meines Kunstunterrichts zu dieser Zeit:
Untitled # 408, eine Fotografie von Cindy Sherman. Wie es der Zufall wollte, wurde ich selbst mitten in den schottischen Lowlands nicht von den Geistern meiner Vergangenheit verschont. Vor blauem Hintergrund und gelb umleuchtet blickt eine Frau mit platinblonder Wuschelmähne, bauschigem Abendkleid und einem gequälten, starren Lächeln (Botox lässt grüßen!) auf die gegenüberliegende Seite der Wand. Es stammt aus der Serie Hollywood/Hampton Types, in der Sherman bewusst auf das dort geltende Schönheitsideal, das Frauenbild und den Wunsch nach ewiger Jugend, anspielt. Die Frau auf dem Bild ist Cindy Sherman und dann doch wieder nicht. Genauer gesagt ist es Sherman, die sich als eben diese Person auf dem Fotos inszeniert. In ihren Werken spielt sie mit verschiedenen Menschentypen und stellt diese, meist auf vollkommen überzogene Weise, dar. Mit der echten Cindy Sherman haben die Personen auf den Fotos aber nur noch wenig zu tun. Sie zeigt sich nie selbst, sondern nur die Rolle, die sie gerade spielt. Wer Shermans Kunst kennt, kennt auch ihre künstlerischen Ziele und weiß, dass Schönheit definitiv nicht dazu gehört. Vielmehr will sie durch ihre Kunst schocken, provozieren und verstören. Ironischerweise gibt genau das ihren Fotografien den besonderen Reiz und lässt sie auf seltsame Weise wieder ästhetisch wirken. Das Schöne im Hässlichen sozusagen. Und genau das lotet Cindy bis aufs Äußerste aus. So braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn sich das wilde Farbgeklekse auf einem ihrer Großformate beim Näherkommen als Erbrochenes entpuppt. In ihrem Gesamtwerk verzichtet sie komplett auf Titel und ordnet den Fotografien lediglich eine Nummer zu. Und das selbstverständlich aus purer Absicht. Jedes Bild lässt sich von verschiedenen Seiten betrachten und interpretieren. Ein Titel würde nur einschränken. So liegt es am Betrachter was genau er im jeweiligen Bild sehen möchte.
Ob ich Shermans Kunst mag? Mögen ist relativ! Aber sie bleibt auf jeden Fall im Gedächtnis – ob man will oder nicht! Aber so ist es ja irgendwie immer mit moderner Kunst. Sie spaltet die Gemüter. Man mag es oder man mag es eben nicht. Die einen mögen in dem müllsackartigen Gebilde in der Ecke (habe ich in einer Modern Art Gallery in Glasgow gesehen) eine künstlerische Meisterleistung erkennen, die Anderen (unter anderem ich) können nicht anders als sich darüber zu wundern. Bei manchen Werken könnte man auch fast schon meinen, dass der Künstler unter Drogen stand. Aber wie selbst Salvador Dali einmal sagte:
„ Ich nehme keine Drogen. Ich bin die Droge.“ Und irgendwie hat er Recht, denn Kunst kann wirklich süchtig machen. Und gerade das, was sich nicht genau einordnen lässt (wie auch bei Sherman), ist besonders fesselnd.
Seit meiner Zeit in Edinburgh, bin ich nicht mehr auf einer Kunstaustellung, geschweige denn in einer Galerie, gewesen. Schade eigentlich, denn gerade wenn ich daran zurück denke weiß ich wieder warum ich es so liebe, durch die Gänge zu spazieren und mich in
den einzelnen Bildern zu verlieren. Doch auch das Schreiben selbst ist eine Kunst. Nicht immer ist es einfach, auf Anhieb die richtigen Worte zu finden und es gestaltet sich oft schwieriger als gedacht, ein paar schwarze Druckbuchstaben auf ein Blatt Papier zu bringen. Die Sätze so zu formulieren, dass sie ausdrücken, was sie sollen und ihre Wirkung nicht verfehlen. Und während dem Schreiben soll noch ganz nebenbei irgendwie Ordnung in das Wirrwarr aus Worten, Satz- und Leerzeichen gebracht werden. Auch wenn das jetzt vielleicht sehr philosophisch klingen mag, aber manchmal ist das Schreiben, genau wie das Malen, eine Zeit der Muße (wenn man von der Deadline beim Schreiben einer Pressemitteilung jetzt mal absieht). Die weiße Seite ist wie die leere Leinwand, die darauf wartet, mit literarischen Ergüssen und Gedanken gefüllt zu werden. Die Buchstaben sind wie Farben, die dann durch Worte ein realistisches aber auch ein abstraktes Kunstwerk entstehen lassen können.
Mein „Werk“ ist für dieses Mal vollendet. Und ganz im Sinne von Cindy Sherman verzichte ich auf einen konkreten Titel und überlasse es den Lesern, darin zu sehen, was sie sehen wollen. 😉
Bis bald!
Eure Mattea
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