Gestern erzählte ich über die inneren Strukturen einer Waldorfschule. Heute die Antwort auf die Frage „Und, wie fandest du es da?“..
Für mich genau richtig. Um das näher zu erläutern, greife ich in der Regel zur Beseitigung der Mythen um die Waldorfschule:
1. Mythos „Auf die Waldorfschule gehen Lernschwache und Dumme“:
Ganz im Gegenteil. Ich würde jedem Kind mit dementsprechenden Einschränkungen zu einer Schule raten, die tatsächlich auf diese Fälle eingestellt ist. Denn eines wird oft missverstanden: Nur weil man auf einer Waldorfschule mehr Zeit bekommt, um sich zu entwickeln und es nicht tragisch ist, wenn jemand statt in der 5. erst in der 10. Klasse Bruchrechnen kann, heißt das nicht, dass man langsamer lernt. Den Kindern wird nur Zeit und Raum gegeben, die Schritte zu machen, wann es für sie richtig ist. Das gibt vielen die Möglichkeit, sich noch viel später für einen höheren Abschluss zu qualifizieren (auch wenn ich finde, dass es viel wesentlicher ist, dass die Kinder nicht dem Leistungsdruck von Noten und dem „Aussortiert“-Werden in der 4. Klasse ausgesetzt werden). Diese „Spätzünder“ sind allerdings nicht mal der Regelfall.
2. Mythos „Auf Waldorfschulen lernt man alles Mögliche, nur nicht das, was wichtig ist“:
Selbstverständlich könnte man jetzt eine Diskussion darüber führen, was heutzutage wirklich „relevant“ ist. Fest steht, dass die Fächer abseits von Mathe, Deutsch und Fremdsprachen aus Sicht der Waldorfschulen nicht einfach aus Jux und Tollerei unterrichtet werden. Sie schulen das Durchhaltevermögen, Gruppenarbeit, selbstständiges Denken sowie gewissenhaftes Arbeiten. Außerdem ist es irgendwie amüsant, sagen zu können, was man schon alles gemacht hat und deshalb auch kann. Nebenbei kommt es nicht aus der Waldorfpädagogik, dass handwerkliche oder musische Arbeit das geistige Lernen unterstützt.
Am Ende können wir dasselbe wie alle anderen auch. Ich habe dasselbe Abitur geschrieben wie jeder andere baden-württembergische Gymnasiast im Jahr 2013. Da man nichts abwählen darf, wurde ich sogar in acht Fächern geprüft (inklusive zwei Fremdsprachen).
2.1 Mythos „Die Waldorfschule bereitet nicht auf das ‚wahre’ Leben vor“:
Den find ich immer wieder gut. Erst neulich habe ich unter Lachtränen einen Artikel mit dem schönen Titel „Leben nach der Waldorfschule“ gelesen. Das klingt nach dem Rehabilitationsweg nach einer schweren Krankheit.
Im Ernst: Das Einzige, womit der eine oder andere Waldorfschüler Schwierigkeiten hat, sind Prüfungssituationen, weil er diesen in der Schulzeit nun einmal nicht so häufig ausgesetzt wird. Allerdings kommt das meiner Erfahrung nach eher auf die Person an als auf die Schule. Durch die diversen Praktika habe ich sogar viel mehr den Eindruck, dass der eine oder andere Waldorfschüler schon viel vom „echten“ Leben gesehen hat. Zudem lernt man während der Zeit des „großen“ Praktikums gut, mit Zeitdruck umzugehen, was einem den Abistress (oder generellen Abschluss-Stress) wie auch schwierige Situationen nach der Schulzeit erleichtert.
Ich lebe übrigens noch und, soweit ich weiß, meine Klassenkameraden auch.
3. Mythos „Waldis sind alles Ökos “:
In Zeiten, in denen „bio“ Standard ist und man die ethische und gesundheitliche Sinnhaftigkeit von „demeter“ nicht mehr jedem erläutern muss, sind die Waldorfs eigentlich die Norm (z.B. Cafeteria-Essen ist bio). Allerdings heißt „bewusst leben“ nicht, alles andere abzulehnen. Und ob und wie das bei jedem gehandhabt wird, ist bei uns Sache der Familie und nicht der Schule. Es wird von Seiten der Pädagogen nicht dazu aufgerufen, auch mit hinsichtlich des Umgangs mit Handys, Computern etc. verhält es sich nicht anders.
Darüber hinaus unterscheiden sich Waldorfschüler im äußeren Erscheinungsbild nicht von der normalen Bevölkerung. Das Klischeebild hat sogar eher dafür gesorgt, dass Waldorfschüler Filz und Birkenstock eher meiden.
4. Mythos „An den Waldorfschulen predigt man den ganzen Tag nur Rudolf Steiner“:
Ich habe noch nie, nie in meinem Leben einen Lehrer Steiner rezitieren hören. Damit langweilen die eher unsere Eltern, um zu erklären warum und weshalb und wieso. Ich habe selber das erste Mal einen Steiner-Text gelesen, da war ich in der 13. Klasse. In Ethik. Wir waren so ziemlich alle konform, dass der Typ ’ne Meise hatte von wegen Wiedergeburt und so (Meinungsfreiheit erlaubt). Aber „seine“ Schule funktioniert bzw. das, was an Pädagogik übernommen wurde.
Nebenbei gibt es zahlreiche große und vor allem erfolgreiche Unternehmen, die sich auf Steiner berufen. Nicht nur Dr. Hauschka oder Alnatura, auch die GLS-Bank, die Software AG oder die dm-Drogeriemarktkette.
Überdies ist es schön, wenn eine Lehrerin aus „Grundschulzeiten“ mit dir zusammen aufs Abi fiebert (Pädagogen, die sich für dich interessieren). Außerdem hat es durchaus seinen Wert, den engsten Freundeskreis zu kennen seit man sechs Jahre alt ist (starke Klassengemeinschaften) und irgendwie 13 Jahre lang ziemlich viel Spaß zu haben.
Alles in allem gehört es für mich nicht dazu ein überzeugter Anthroposoph zu sein, wenn man eine Waldorfschule besucht oder seine Kinder in eine steckt. Meine Schulzeit hat sich denke ich vor allem im Schulalltag von anderen unterschieden, aber ich wurde keineswegs zu einer bestimmten Art von Weltanschauung erzogen. Für den einen mag es das richtige sein, für den anderen weniger. Meiner Meinung nach sollte man gar nicht abwägen was tatsächlich „besser“ ist. Denn wie jede andere Schule, hat auch die Waldorfschule Vor- und Nachteile, die aber Ansichtssache sind.
5. und letzter Mythos „Waldorfschüler tanzen ihre Namen“:
Ja, wir können unsere Namen tanzen. Das Fach heißt Eurythmie und wozu das genau gut sein soll habe ich auch nie verstanden. Aber ein bisschen Formen laufen und mit den Armen rumfuchteln tut dem Kreislauf zwischen dem andauernden Schulbankdrücken ganz gut.
Also was soll’s …
In diesem Sinne tanzend,
L-E-A B-I-E-R-M-A-N-N
P.S: Den ersten Blog-Wichtel über einen und von einem Kollegen gibt’s am 5. März.
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