Zweifelsohne haben uns die Anschläge von Paris am vergangenen Freitag alle mehr als betroffen gemacht. Was für die USA der 11. September 2001 bedeutet, stellt für Frankreich nun der 13. November 2015 dar, der zum Symbol für ein Massaker an 132 Menschen wurde. Und dies kein Jahr nach den hinterlistigen Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Auch wenn die Angriffe des sogenannten Islamischen Staates die Grande Nation besonders hart treffen, gehen sie uns doch alle an. Denn sie richten sich gegen die gesamte westliche Welt, unsere Werte, Lebensweise und Freiheit.
In den vergangenen Tagen hat Frankreich wahrlich einprägsame und großartige Bekundungen von Solidarität und Mitgefühl erfahren. Zu ihnen gehört auch das Aufeinandertreffen der englischen und französischen Nationalmannschaft am 17. November 2015 im Londoner Wembley Stadion. Die beiden Teams begegneten sich nicht als Rivalen auf dem Fußballfeld, sondern demonstrierten Geschlossenheit, indem sie gemeinsam die Marseillaise sangen, um danach für eine Minute zu schweigen. Begleitet wurden die Spieler dabei von über 70.000 Zuschauern. Das war mehr als ein gewöhnliches Freundschaftsspiel.
In den allabendlichen Sondersendungen und Talkrunden wird nun eindringlich davor gewarnt in Panik zu verfallen, vorschnell Bodentruppen in den bewaffneten Kampf gegen den sogenannten IS zu entsenden oder gar die These zu vertreten, dass man sich mit dem nicht abreißenden Flüchtlingsstrom eine Vielzahl hochgefährlicher Terroristen ins eigene Land holt. Der Umstand, dass sich François Hollande bereits im Krieg gegen die islamistischen Terroristen begreift, beinhaltet eine Rhetorik wie man sie lange nicht mehr von einem europäischen Staatspräsidenten vernommen hat. Mehr noch geben Terrorexperten eine finstere Prognose ab, wenn sie von den neuen unsicheren Zeiten, in denen uns Terrorangriffe wohl noch häufiger treffen werden, sprechen.
Im Umgang mit den Pariser Anschlägen stellt sich auch die folgende Frage: Wo liegt die Grenze zwischen angemessener Sensibilität und übertriebener Zurückhaltung?
Die ARD hat diese Woche beschlossen, ihren geplanten Tatort-Zweiteiler vom 22. und 29. November 2015 nicht zu senden. Der Hintergrund: Im zweiten Teil des Krimis kommt es zu einer Geiselnahme, die an die Ereignisse von Paris erinnern soll. Allerdings geht es in der Doppelfolge nicht um religiös motivierte Anschläge islamistischer Terroristen, sondern um die skrupellosen Machenschaften der Russenmafia gegen die Til Schweiger in der Rolle des Hamburger Kommissars Nick Tschiller ankämpfen muss. NDR-Programmdirektor Frank Beckmann begründet die Entscheidung wie folgt: „Es passt einfach nicht in diese Wochen, eine Krimireihe zu zeigen, in der es auch um einen terroristischen Angriff geht.“ Die Ausstrahlung von „Der große Schmerz“ und „Fegefeuer“ erfolgt nun erst im Januar 2016. Schweiger, der bis zuletzt versucht hatte die Ausstrahlung zu erwirken, versteht die Entscheidung nicht. „Ich persönlich bin völlig entsetzt darüber, was in Paris passiert ist. Es ist so furchtbar. Aber wir sollten uns nicht von Terroristen diktieren lassen, was wir im Fernsehen zeigen sollten. Dann können wir ja bald nur noch ein Testbild senden“, gab er in einem Zeitungsinterview zu verstehen. Anstelle des geplanten Zweiteilers wird nun übrigens an beiden aufeinanderfolgenden Sonntagen ebenfalls der Tatort ausgestrahlt: Diese Woche ermittelt Kommissarin Charlotte Lindholm während in der Folgewoche Klaus Borowski zum Einsatz kommt – brutal wird es also allemal.
Manch einer mag die Entscheidung von Beckmann begrüßen. Aber sie wirft neben der bereits erwähnten noch eine Vielzahl weiterer Fragen auf: Wann kehren wir zur Normalität zurück? Inwiefern verändern wir bereits jetzt unsere Gewohnheiten? Ist die Änderung des Fernsehprogramms bereits als ein Zugeständnis an Terroristen zu werten? Hätten die Anschläge in Beirut, die am vergangenen Donnerstag 40 Menschen das Leben kosteten oder der herbeigeführte Flugzeugabsturz der russischen Passagiermaschine bei dem am 31. Oktober 2015 alle 224 Passagiere in Ägypten ums Leben kamen, eine ähnliche Reaktion erwirken können?
Das Satiremagazin
Charlie Hebdo reagiert auf die Anschläge in seiner aktuellen Ausgabe übrigens mit der Karikatur eines Mannes, der von Schusswunden gezeichnet, das Glas erhebt und ruft: „Sie haben die Waffen. Wir scheißen auf sie, wir haben den Champagner!“ Wenn das einer darf, dann Hebdo. Und deutlicher könnte die Botschaft wohl nicht sein: Egal wie schlimm es auch kommen mag, wir lassen und nicht einschüchtern und unsere Lebensweise verbieten.
Für alle anderen liegt das richtige Maß zwischen angemessener Sensibilität und übertriebener Zurückhaltung wohl irgendwo dazwischen.
Annika Rasch
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