In meinem letzten Blogbeitrag erklärte ich, am Beispiel von mir selbst, wie es einen Historiker zur PR verschlagen kann. Dabei betonte ich, wie unterschiedlich die beiden Berufsfelder sind. Wie gegensätzlich sich die Aufgaben und Arbeitsatmosphäre darstellen. Vermutlich erweckte ich damit den Eindruck, dass ich nun all mein Wissen und meine Fähigkeiten aus dem Studium über Bord werfe und mir völlig neue Kenntnisse und Arbeitsweisen aneigne. Und zu einem gewissen Teil trifft das auch zu. Es ist eindeutig eine große Umstellung, auf allen Ebenen. Man sollte deswegen aber nicht glauben, das Studium sei sinnlos oder verschwendete Zeit gewesen. Richtig genutzt, kann ein Geschichtsstudium sogar ein entscheidender Vorteil und ein Alleinstellungsmerkmal auf dem PR-Markt sein.
Die offensichtlichsten Fähigkeiten, die sich aus dem Studium in die Öffentlichkeitsarbeit übertragen lassen, sind die viel beschworenen „Soft Skills“. Lange Texte mit schlüssigem Aufbau verfassen, recherchieren (was etwa 90% eines Geschichtsstudiums ausmacht), Präsentationen halten, alleine oder in Gruppen Daten analysieren und daraus verwertbare Ergebnisse erarbeiten. Alle diese Dinge und noch mehr sind Werkzeuge, die sich ein Historiker im Laufe seines Studiums aneignet. Ohne sie ist ein erfolgreicher Abschluss kaum möglich. Alle diese Fertigkeiten haben auch ihren Platz in der PR und man hat einen klaren Vorteil, wenn man sie sich nicht erst „on the job“ aneignen muss. Allerdings muss hier ehrlicherweise gesagt werden, dass keiner dieser Skills ein Alleinstellungsmerkmal für einen Historiker ist. Soziologen, Politikwissenschaftler, Germanisten und alle anderen Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler verfügen, in unterschiedlicher Gewichtung, über die gleichen Fähigkeiten. Was ist dann der Vorteil, der USP des PR-lers mit Geschichtsstudium?
Geschichten statt Bilanzen
Das Stichwort lautet hier „Corporate History“. Der Begriff lässt sich zwar recht unspektakulär als „Unternehmensgeschichte“ übersetzen, jedoch verbirgt sich dahinter deutlich mehr als nur die Aufzählung sämtlicher Vorstandsvorsitzender von anno dazumal bis heute.
Corporate History hat verschiedene Facetten. Ein unspektakulärer, aber immens wichtiger Bereich ist das Aufzeichnen und Archivieren. Während Unternehmen ihre Geschäftsbilanzen und Aktienkurse über Jahrzehnte bis ins Detail zurückverfolgen können, geraten all die spannenden Geschichten, die abseits der Buchhaltung stattfinden, schnell in Vergessenheit. Die Umsatzzahlen des Jahres 1965 interessieren heute niemanden mehr, die Geschichte des genialen Designers, der den Verkaufsschlager des Jahres 1965 entwarf und so für diese Zahlen sorgte, jedoch umso mehr. Um diese Geschichte erzählen zu können, braucht man aber Quellen, die davon berichten.
Aus den Archiven in die Medien
Hier zeigt sich ein weiterer Aspekt der Corporate History, die PR-technische Aufbereitung der gesammelten Quellen und Daten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten wie so ein Projekt gestaltet werden kann. PR-Fachleute, seien es die hauseigenen oder von einer Agentur, können sich durch die Archive arbeiten und aus dem vorhandenen Material eine Geschichte entwickeln, die das Unternehmen in ein positives Licht rücken. Gute Anlässe hierfür sind Firmenjubiläen oder Jahrestage von geschichtlichen Ereignissen, zu denen das Unternehmen einen Bezug hat. Einen Schritt weiter gehen einige Konzerne, die ihre Vergangenheit nicht nur in der Öffentlichkeitsarbeit verarbeiten, sondern ganz offensiv in die Werbung einbinden. Mercedes Benz ist hier etwa hervorzuheben, die ihre lange Geschichte regelmäßig in Werbespots einfließen lassen (den Erfinder des Autos als Firmengründer vorweisen zu können, schadet dabei sicher auch nicht).
Der Forschung die Türen öffnen
Es gibt aber auch eine Alternative zur vollen Marketing-Breitseite: Einige Unternehmen öffnen ihre Firmenarchive für forschende Historiker, die diese Fülle an Quellenmaterial dann wissenschaftlich auswerten. Dieser Schritt kann vor allem für Unternehmen mit dunkler Vergangenheit (beispielsweise VW, Thyssen-Krupp, BASF) eine gute Strategie sein, um der Öffentlichkeit Transparenz und einen Willen zur Aufarbeitung zu signalisieren. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist die Porsche-Biographie des bekannten Historikers Wolfram Pyta, die vom Porsche Konzern stark gefördert wurde. Natürlich sind solche Kooperationen, besonders in akademischen Kreisen, höchst umstritten. Ohne sie dürften aber viele Firmenarchive der Forschung für immer verschlossen bleiben. Eine weitere Variante einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit sind Firmenmuseen. Diese bewegen sich, abhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens, zwischen einem Raum mit drei Vitrinen auf dem Firmengelände und architektonischen Ausrufezeichen mit mehr Budget als jedes staatliche Museum.
In Deutschland fristet Corporate History noch ein Nischendasein, das zeigt schon alleine die Tatsache, dass es noch keinen deutschen Wikipedia-Artikel zum Thema gibt. Bisher haben nur einige große Konzerne das Potential der Verbindung von PR und Wissenschaft erkannt, allen voran die Autobauer. Setzt sich der Trend der letzten Jahre aber fort, könnte sich die PR-Arbeit langfristig um eine neue Facette erweitern.
Christoph Buck
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