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Geh, bleib, geh später, bleib länger, komm später. Wem kann ich vertrauen? Wer kennt mich gut genug? Wer will das Beste für mich? Wer hat überhaupt eine Ahnung? Niemand eigentlich. Denn: Mitten im Coming-of-Age fühlt niemand so wie ich. Basta!

„Du solltest in New York sein.“ Wieso? Um das zu erklären müssen wir erst in die Vergangenheit:
Denken wir zurück an mich in der fünften Klasse. Nach kurzer Zeit als frischgebackene Gymnasiastin merkte ich, dass ich eine große Liebe in mir für ein bestimmtes Fach entdeckte: Englisch. Außerdem war ich anders als meine gleichaltrigen Kollegen. Im zarten Alter von elf Jahren hatte ich mich bereits nach Universitäten umgeschaut. Diese sollte im Ausland sein, präziser, im englischen Ausland. In Schottland wurde ich fündig: Die University of St Andrews. Die älteste Uni des Landes hatte es mir angetan, auch wenn nur wegen des Aussehens und dem Grund, dass Kate und William dort studiert haben. Präsentationen wurden erstellt, um meine Überzeugung schwarz auf weiß festzuhalten und Mama vielleicht auch zu begeistern. Die Uni-eigene Acapella Gruppe, „The Other Guys“, wurde gestalkt, angehimmelt und schließlich auf Facebook angeschrieben. (JA, SIE HABEN GEANTWORTET UND ICH LIEBE SIE NOCH IMMER)

Nach einem Realitäts-Check haben sich meine Träume aufgelöst. Ich bin nicht schlau genug und meine Eltern sind keine Royals – verfügen auch nicht über ähnliche finanzielle Möglichkeiten. Doch der Wunsch nach Ferne ist geblieben. Im Hinterkopf war das Weite immer nah.
Gehen wir ins Jahr 2018 – sechs Jahre später: Unbegrenzte Möglichkeiten in einem hierfür bekannten Land schwebten mir vor. Eventuell habe ich zu viel Gilmore Girls geschaut und mir ausgemalt, mit einem Kaffee in der Hand über den Yale-Campus im Herbst zu schlendern, während links und rechts neben mir das bunte Laub liegt. Doch wieder: Zu schlechte Noten und zu teuer. Doch das größte Problem war der Erzfeind jedes Nicht-Amis, der in den USA studieren möchte: der SAT (Scholastic Assesment Test). Dieser standardisierte Studierfähigkeitstest ist in den meisten amerikanischen Universitäten eine Anforderung für die Bewerbung. Gleichzeitig mein Abitur und noch einen zweiten großen Test machen, von dem ich keine Ahnung habe, auf den sich amerikanische Schüler teilweise jahrelang vorbereiten? Undenkbar. Es musste eine andere Lösung geben.

Zurück zu meiner Freundin Lena, die in jedem Blog erwähnt werden muss, da sie in jedem Teil meines Lebens auftaucht, weil wir uns seit 13 Jahren kennen und lieben (manchmal mehr, manchmal weniger). Lena ist ein Kunst-Nerd und liebt alles, was mit Mode und Design zu tun hat. Außerdem ist sie Englischfanatikerin wie ich. Sie war und ist immer noch verliebt in Parsons. Lasst mich Parsons vorstellen: Eine der beliebtesten und renommiertesten Kunst- und Designschulen der Welt, mit Standort in New York City. Von Fashion über Fotografie bis Architektur ist fast alles dabei. So erstellte auch Lena PowerPoint-Präsentationen, um unsere Kollegin – und ihre Mutter – Désirée zu überzeugen.

In einem gelangweilten Moment dachte ich mir, ich schau mir diese Einrichtung mal genauer an. Es stellte sich heraus, dass Parsons nur ein Teil der Universität, „The New School“, ist. Diese hat noch vier weitere sogenannte Colleges. Eines davon hat es mir besonders angetan, das Eugene Lang College of Liberal Arts. Wie bereits in meinem Vorstellungsblog erwähnt, bin ich interessiert an Schreiben, Philosophie – aber auch Musik, Photographie und Kunst. An dieser Uni besteht die Möglichkeit, all diese Dinge zu verbinden und in den USA zu sein, ohne den SAT abgeben zu müssen. Also habe ich mich beworben.

Nicht so einfach gemacht, wie gesagt. Ein Essay hier, ein Essay da, ein vierstündiger TOEFL Test, Empfehlungsschreiben und übersetzte Zeugnisse. Ach ja und 80 Dollar Bewerbungsgebühr – Welcome to America.
Nachdem ich mehreren Lehrern einige Monate hinterhergerannt bin, um Dokumente zu erhalten, war ich fertig mit meiner Bewerbung und hatte, ehrlich gesagt, keine Lust mehr auf den ganzen Zirkus.

Monate später, als ich mir das Studium dort schon abgeschminkt hatte: „Congratulations!“, hieß es in der E-Mail von der Uni. Ich wurde angenommen. Ich würde in drei Monaten nach New York ziehen. Zum Studieren. Mit Stipendium. Nicht so schnell, zu früh gefreut und zu früh von meiner Familie beweint. Mein Kopf würde mir noch in die Quere kommen. Denn ich habe abgelehnt, ich war nicht bereit. Okay, das hört sich vielleicht ein bisschen hart an, ich habe es verschoben. Das durfte ich, für ein Jahr zumindest.

Die Neuigkeit über mein Auslandsstudium verbreitete sich in meiner Schule wie ein Lauffeuer. Genauso wie die darauffolgende Nachricht, dass ich ein Weichei bin und nicht gehen würde. „Bist du eigentlich dumm?“, „Ich wäre direkt gegangen“. Doch wer kann sich schon so genau in die Lage eines anderen hineinversetzen. Ihr seid nicht ich. In einem Jahr bin ich wahrscheinlich auch nicht mehr, wer ich jetzt bin. Vielleicht bin ich dann für meine Träume bereit. Vielleicht? Vielleicht.

©Lena-Marie Müller
If I can make it there, I’ll make it anywhere.


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