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Jetzt wird es überall wieder voller. Mit Abstand zwar und Gesichtsmaske, aber es sind einfach wieder mehr. Auf Straßen und Plätzen, in Läden und Restaurants. Trotz aller Corona-bedingten Nachteile für Gesundheit und Wirtschaft: Die zurückliegenden Wochen wirkten wie ein kollektives Sozial-Fasten nach Aschermittwoch. Die Luft wurde sauberer, die Innenstädte leerer. Überhaupt rollte das analoge Leben ruhiger dahin. Statt Sammlung und innerer Ruhe überschlug sich das mediale Geschehen jedoch in Expertenmeinungen, Einschätzungen und regelmäßigen Sondersendungen. Auf Bildschirmen tobten die Diskussionen via Teams oder Zoom. Draußen weht der reale Wind.

Sprechende Bauten

Wenn mir in dieser Zeit beim kurzen Gang durch die Ulmer Innenstadt ein westerntauglicher Steppenläuferbusch vor die Füße geweht wäre, ich hätte mich nicht gewundert. Mir wurde etwas mulmig. So ohne alles trubelige Menschenvolk in den Gassen wirkten die Bauwerke aber plötzlich viel präsenter. Das Münster etwa sagte zu mir: „I schdand hier seid 1377 und han schon ganz andre Sacha überschdanda. Fass Hoffning ond sorg Di net!“ Der vor ihm liegende große Münsterplatz meckerte stattdessen ganz unerhaben darüber, dass er als Platz ja schließlich Leben brauche, also viele Menschen, die sich hier treffen. „Wenn sie wenigstens bald in Mengen wieder über mich laufen würden! Das ist wie am Rücken kraulen und kratzen!“ Währenddessen aalte sich das Stadthaus in der Frühlingssonne und meinte nur selbstverliebt: „Well, ik finde das alles nikt so schlimm, weil ik jetzt more photogenic – wie sagt man im Deutschen? … Ik kann besser fotografiert werden jetzt so ohne alle People!“ Das Münster brummte nur von oben herab: „Jeddzad lernsch ersch amol Deidsch, Du Raischmeggder!“ – Na, vielleicht sollte ich bei derart einsamen Expeditionen durch Ulm meinen Flachmann zu Hause lassen.

Klatschen hilft

Ruhe sei ja die erste Bürgerpflicht, also: Locker werden! So könnte das Motto der jüngsten Bemühungen zur Aufhebung coronabedingter Beschränkungen lauten, um deren Ausmaß sich die deutschen Bundesländer gerade rangeln. Dabei ist Deutschland ja – bis auf sehr wenige Ausnahmen abgesehen – geradezu mustergültig gründlich im genauen Befolgen von Eindämmungsvorschriften. Hinzu kommt unser gut ausgebautes Gesundheitswesen, das im internationalen Vergleich keinen Wettbewerb zu scheuen braucht. Sofern man dabei nicht den Blick auf die ausbeutenden Umstände wirft, unter deren Auswirkungen die Pflegekräfte in Krankenhäusern, Altenheimen oder mobilen Pflegeeinrichtungen jeden Tag leiden. Wer zu diesen Gehältern diesen Job ausübt, macht das entweder, weil er aus Gegenden mit noch niedrigerem Lohnniveau kommt oder aus Überzeugung. Über beide Motivationen freut sich die betriebswirtschaftliche Geschäftsführung.

Blickwinkel zurechtrücken, Gewichtung tarieren

Sofern es nicht zu früh für diese Frage ist: Was aber bleibet? Die Wochen des Lockdowns, der Ausgangsbeschränkungen und Quarantäneerlebnisse haben bei mir mitunter zu kleinen aber wirkungsvollen Perspektivverschiebungen geführt: Können wir der gebeutelten Lufthansa nicht auch durch Klatschen und Singen helfen, so wie den systemrelevanten Berufen? Wo sind jetzt die neoliberalen Stimmen verblieben, die vor zuviel Einmischung des Staates in wirtschaftliche Dinge warnen? Warum haben autokratisch geführte Länder durchweg höhere Infektions- und Mortalitätsraten mit COVID-19? Andere Erfahrungen, wie etwa privat organisierte Hilfs- und Bringdienste oder die schnell organisierten Abhol- und Lieferdienste von Restaurants oder Buchhandlungen stimmen mich hingegen schon wieder milder. Denn da findet sich Erfindungsgeist und unbürokratische Umsetzung. Insofern haben diese Tage ungeahnte Potenziale zu Tage gefördert.

Daher bin ich recht gefasst angesichts zukünftiger Krisen, Katastrophen und Epi- wie Pandemien, denn wir wissen, woraus es neben ausreichenden Mengen an Mitmenschlichkeit, Kreativität und Organisationsfertigkeiten ankommt: Toilettenpapier und Hefe, 1,5 Meter Abstand und Gesichtsmasken!


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