Corona ist langsam und schleichend auf dem Rückzug und so raffen sich viele Menschen auf, längst überfällige Termine nachzuholen. Ich sitze also im Wartezimmer meines Zahnarztes und blättere in einem Fachmagazin für die selbstbewusste Endverbraucherin – die Bunte. Auf Seite 34 stoße ich auf einen Artikel zu den neun unumstößlichen Weisheiten des Lebens, genau mein Ding. Nach dem dritten Kalenderspruch beschließe ich, die ausgelatschten aber an sich guten Gedanken aufzugreifen und eine neue Blogreihe zu starten: In handlichen Dreier-Päckchen nehmen wir uns die Buntsche Lebensweisheit vor und sehen, ob und wie sie uns weiterbringen könnten – sei es als Mensch oder unternehmerischen Organismus.
Lebensweisheit Nummer 1: The Past can’t be changed
Nun ja, das stimmt wohl – rum is rum. Es nützt nichts, Vergangenes verändern zu wollen. Warum auch. Wir haben viel bessere Möglichkeiten, mit vermeintlich ungeliebten Teilen unserer Geschichte umzugehen, als sie zu verneinen oder gar künstlich zu manipulieren. Wir können beispielsweise die Sichtweise auf vergangene Erlebnisse durch neue Blickwinkel verändern. Ein Freund sagte mal zu mir, sein Psychologe hätte ihm eröffnet, es sei nie zu spät, eine schöne Kindheit gehabt zu haben – das wäre nur eine Frage der Sichtweise. Aha. Klingt sperrig, aber auch verheißungsvoll. Wir können und sollten unsere Geschichte annehmen und ggfs. einfach mal einen neuen Interpretationsfilter auf das Erlebte legen. Was wir jedoch nicht tun sollten ist, unsere Vergangenheit zu negieren nur weil sie uns nicht passt – schließlich hat sie uns zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Und sie ist die Grundlage für natürliche, authentische Veränderung und Anpassung.
Schauen wir mal, was diese Lebensweisheit für Unternehmen bedeuten könnte.
Identität ist wichtig und unvermeidlich für Authentizität
Jung, agil, flippig, modern – es gibt kaum ein Unternehmen, dessen Marketing-Abteilung sich nicht daran versucht, dem Zeitgeist zu gefallen. Und so geschieht es hier und da, dass selbst bewusst traditionsbehaftete Marken zwangsmodernisiert werden. Die Ergebnisse des Re-Designs sind leider oftmals schauderhaft.
Der Grund dafür ist logisch: Unternehmerische Würde ist die Grundlage für Souveränität und Glaubwürdigkeit. Und diese Würde entspringt einer nachvollziehbaren, echten Geschichte. Man nennt das auch Authentizität. Wird an dieser identitätsstiftenden Grundlage wild rumgeschraubt, kann ein Re-Branding nicht nur peinlich floppen, sondern auch spürbar negative Auswirkungen auf den unternehmerischen Erfolg haben. Hier noch etwas externes Futter.
Selbstverständlich sind regelmäßige Reflektion und Adaption zwingend notwendig, um nachhaltig am Markt Bestand zu haben. Marketiers sollten sich nur unbedingt den tieferen Sinn dieser Lebensweisheit zu Herzen nehmen und den Unterschied zwischen natürlicher Evolution und zwanghafter Manipulation verstehen.
Geschichte ist ein komplexer Webstoff aus Emotionen, Erfahrung, Gemeinschaft und Verbundenheit
Und noch eine Auslegungsvariante dieser Lebensweisheit: Die kollektiven Erfahrungen, die Menschen in ihrem beruflichen Alltag machen, münden zwangsläufig in einer entsprechenden Firmenkultur. Läuft hier etwas durch destruktives Management-Verhalten schief, ist es ziemlich aufwändig, die erlernten Verhaltensmunster aufzubrechen. Zumindest nicht mit derselben Führungsmannschaft, die für diese Kultur verantwortlich zeichnet. Erfahrungen sind wie Tattoos im Gesicht. Man kann sie nicht rückgängig machen, ein Rest bleibt immer. Man kann mit ihnen leben und man kann – wie bereits beschrieben – die Sichtweise auf Erfahrungen verändern. Denn es gibt kaum etwas im Leben, das rein gar nicht dazu taugt, einen positiven Lerneffekt zu ziehen. Was bedeutet das nun für die Firmenkultur und das Employer Branding? Bestehende Wertesysteme lassen sich nicht mit einem Dutzend neuer Corporate Identity-Poster und einer Handvoll Workshops über den Haufen werfen. Bestes Beispiel dafür ist die lange und oft recht schmerzvolle Phase der Mitarbeiterintegration nach einer Firmenübernahme.
Das Post-Merger-Trauma
Diese sogenannte „Post Merger Integration“ wird von vielen Beratungsunternehmen exakt nach Plan bearbeitet und gesteuert. Doch die Überführung einer Unternehmenskultur in eine andere ist in Wahrheit ein blutiger Prozess. Denn jenseits von Excel-Sheets und Roadmaps, neuen Visitenkarten und Kollegen, Aufgabenbereichen und Zielvereinbarungen geht es darum, eine Welt an gemeinschaftlicher Erfahrung und Zugehörigkeit in eine neue unternehmerische Werte-Schablone zu pressen. Damit dies ohne zu viele Opfer gelingt, gilt es zu verstehen, dass man Geschichte nicht überschreiben kann. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten zu sehen und zu betonen, Unterschiede zu verstehen und Brücken zu bauen und das Wichtigste: Verbindung herzustellen. Vergangenes ist unauslöschlich, doch durch eine stabile Brücke kann man gut in eine neue, gemeinsame Zukunft gehen.
Lebensweisheit Nummer 2: Opinions do not define your reality
Meinungsmache ist gerade in der heutigen Zeit eine sensible Angelegenheit. Wo anno dazumal zehn Menschen um einen Schreihals auf dem örtlichen Markt herumstanden, hören heute gleich Millionen über moderne Kommunikationskanäle zu. Das aggressive Propagieren einseitiger Meinungen durch prominente Gesichter – gerne auch als Echokammer bezeichnet – verhindert bei vielen ein kritisches Meinungsbild. Pro und Contra stehen sich schon lange nicht mehr ausgewogen gegenüber und das Nachplappern schlecht recherchierter Social Media Postings wird immer mehr zur Mode. Schnell entstehen auf diese Weise Ungerechtigkeiten, Ablehnung und im schlimmsten Fall Feindbilder.
Umso wichtiger ist es für Mensch und Unternehmen, den Unterschied von Meinung und Fakten zu kennen. Es ist schon ein bisschen her, da sagte Steve Jobs in einer Rede: „Don’t be trapped by dogma — which is living with the results of other people’s thinking. Don’t let the noise of others‘ opinions drown out your own inner voice. And most important, have the courage to follow your heart and intuition. They somehow already know what you truly want to become. Everything else is secondary“.
Ich finde diesen Gedanken wunderbar und kann nur allen Menschen und Unternehmen empfehlen, es so zu halten: Nutze deinen Kopf, um eigene Gedanken zu denken, eigene Ideen zu entwickeln und eigene Meinungen zu formen. Selbstverständlich ist es wichtig, anderen Menschen zuzuhören, sich inspirieren zu lassen, am Meinungsbild der Gesellschaft zu reiben und auch zu orientieren. Doch ein Unternehmen sollte seine Energie darauf verwenden, seine eigene Weitsicht und Innovationsstärke zu untermauern. Denn ein Hersteller, dessen Stärke unter anderem darin begründet ist, dass er Trends setzt und nachhaltige Branche-/Marktimpulse gibt, anstatt ihnen nachzurennen, unterstreicht seinen Anspruch, selbstbestimmt und souverän zu agieren. Warum ist das wichtig: Selbstbestimmung schafft Vertrauen und Begeisterung – zwei zentrale Grundlagen für Kundenfindung und nachhaltige -bindung. Wir sollten uns diese Lebensweisheit zu Herzen nehmen.
Lebensweisheit Nummer 3: Everyone’s Journey is different
Was besagt diese Lebensweisheit für mich? Das Wesen eines Produkts und dessen vertriebliches Potenzial erschließen sich meines Erachtens nicht durch die reine Betrachtung von Form, Funktion, Nutzen und Absatzverhalten. Das wäre auch schrecklich. Man stelle sich im Gegenzug vor, der Wert eines Menschen würde sich ausschließlich an seiner angeborenen Intelligenz, seinem Geldbeutel oder seiner Äußerlichkeit festmachen. Viel wichtiger ist doch die individuelle Reise, die sowohl uns aber auch Unternehmen zu dem gemacht haben, was und wer wir/sie heute sind.
Und so glaube ich fest daran, dass Produkte erst dann eine stabile Zukunftsfähigkeit jenseits von trend- und kundengetriebenen „me-too“-Positionierungen erreichen, wenn sich „die Reise“ – die Identität des Unternehmens – in den Produkten klar widerspiegelt. Ich finde, diese Ansage gegen akute Markt- und Trendorientierung und für mehr eigene Persönlichkeitsentfaltung super. Denn das Gleichmachen von unternehmerischem Denken und Strategie führt zu Austauschbarkeit, Wahrnehmungsverlust, Kontrollverlust, Preissensibilität und Innovationstod. Wir Marketiers wissen, dass wir uns nicht von allem und jedem fremdsteuern lassen dürfen und dass es potenziell tödlich ist, jedem noch so kurzlebigen Trend hinterherzujagen. Und doch geschieht es immer wieder. Deshalb breche ich an dieser Stelle wieder einmal die Lanze für Authentizität, Querfeldeinläufe und unternehmerische Selbstbestimmung.
Herzliche Grüße und bis bald. Dann nehmen wir uns das nächste Dreier-Set an Lebensweisheit vor.
Monika Nyendick
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