Aus dem Leben eines Wasserläufers
Der Alltag eines PR-Redakteurs dreht sich um nahezu alle Fragestellungen der Kommunikation. Für viele von uns beginnt ein Morgen mit dem Lesen und Beantworten von E-Mails, dem Schreiben und Redigieren von Texten oder auch mit einer Telefonkonferenz. Soweit, so normal. Es gibt jedoch eine Tätigkeit auf unserer Agenda, die das Selbstkonzept des modernen Kommunikators in seinen Fundamenten erschüttern kann. Es ist eine Aufgabe, die nicht nur die Wahrnehmung und das Wissen um unsere eigene Person torpediert, sondern auch die Sinnhaftigkeit eines gesamten Berufsstands auf den Prüfstand stellt: das Akquise-Gespräch. Ungeachtet der Tatsache, dass Kommunikation bereits im Mutterleib beginnt und auch nach dem Tod irgendwie nicht aufhört, wird ihre unternehmerische Notwendigkeit mit der Regelmäßigkeit morgendlicher Mundhygiene in Frage gestellt. Und damit nicht genug. Gleich dem klagenden Ruf einer einsamen Sahnehaube nach ihrer krönenden Kirsche, verlangt das zweifelnde „Wieso“ nach einer schmückenden Verzierung. Und diese kommt dann in Form von „Wie viele Produkte verkaufe ich mehr, wenn ich Pressearbeit mache?“ So mancher von uns steht diesen Fragen mehr oder weniger hilflos gegenüber und das aus gutem Grund.
Das Werkzeug „Medien- und Öffentlichkeitsarbeit“ (der Einfachheit halber als PR bezeichnet) ist ein integraler Bestandteil des Marketing-Mixes, der den Vertrieb unterstützen oder gar befähigen soll, Geld zu verdienen. In der Folge steht PR also durchaus in Verbindung mit Vertriebserfolg. Und genau hier liegt der erste Knackpunkt: PR ist in ihrer Verortung in ein Gesamtsystem eingebettet. Es handelt sich um eine abteilungsübergreifende Mannschaftssportart, die nur gelingt, wenn alle im Team am selben Strang ziehen. Unternimmt man einen Ausflug ins Reich der Tiere, finden sich tausend prinzipgleiche Verbündete, etwa das geschlossene Ökosystem eines Gartenteichs. In den Tümpeln unserer heimischen Freizeitoasen hat jeder Bewohner eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, sei es als Sauer- oder Nährstofflieferant, natürlicher Wasserfilter, Lebensraum, Räuber oder Beute. Die vielfältigen Aufgaben der einzelnen Teilnehmer weisen jedoch nicht nur eine komplexe Wechselwirkung auf. Darüber hinaus ist der Erfüllungsgrad der zugedachten Tätigkeit und somit der Erfolg des Einzelnen und des Gesamtsystems von der unversehrten Co-Existenz und rollenadäquaten Handlungsweise aller abhängig.
Uff.
Zurück zum Marketing.
Schält man in einem Akquise-Gespräch die PR aus dem Gesamtsystem „Marketing“ heraus, kann weder ihre Natur noch ihre konkrete Aufgabe sinnvoll erklärt werden, also auch nicht ihr Erfolg. Es geht nicht um die Frage, wie viele Blumentöpfe man mit PR mehr verkauft, sondern welchen Stellenwert dieser Aufgabenbereich im Ökosystem Marketing des jeweiligen Kunden einnimmt und welche Konsequenzen aktive Nicht-Kommunikation für die anderen Akteure des Biotops mit sich bringt.
Was wäre, wenn oben unten ist
Die Frage nach dem Stellenwert von Medien- und Öffentlichkeitsarbeit demaskiert einen weiteren Grund, warum wir uns in manchen Vertriebssituationen unwohl fühlen: Nur mein Gegenüber kann beantworten, warum ich hier bin. Schließlich ist es sein kommunikativer Gartenteich, der gegebenenfalls Handlungsbedarf in Sachen PR aufweist. Nur mein Gesprächspartner kann eine zufriedenstellende Auskunft dazu abgeben, welche wirtschaftlichen Potenziale in einer professionellen Unterstützung seines Marketing-Tümpels liegen. Meine Aufgabe hingegen ist es, aufzuzeigen, an welchen Stellen mögliche Goldschätze vergraben sind und welche Schaufeln ich mitgebracht habe, um diese zu heben. Drehen wir also eine solche Gesprächssituation einfach einmal auf den Kopf:
Kunde: Sie denken also, wir brauchen Pressearbeit?
Ich: Das stimmt. Und es freut mich, dass Sie das auch so sehen.
Kunde: Ach wirklich, tue ich das denn?
Ich: Sicher doch. Wenn ich an Ihren übervollen Terminkalender denke, muss es für Sie einen triftigen Grund geben, mir ein Plätzchen einzuräumen. Also, warum bin ich hier?
Diese Art der Gesprächsführung kann durchaus die eine oder andere hochgezogene Augenbraue mit sich bringen. Deshalb zur Sicherheit: Es geht nicht darum, den Ball einfach zurückzuspielen, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Wasserläufer alleine keinen gesunden Teich sicherstellen kann. Doch deshalb würde man ihm nie seine Existenzberechtigung absprechen, nicht wahr? Nur der Gartenbesitzer kann aus einer Vogelperspektive heraus erkennen, ob sein Ökosystem Defizite aufweist. Was ein Wasserläufer perfekt beherrscht ist das Wissen um seine Fähigkeiten und Beziehungspartner – sei es als Räuber oder Beute.
Das Ergebnis: Es geht nicht um die Frage „Warum sollte ich dich brauchen“, sondern um das Versprechen „Schau lieber Gesprächspartner, diese Fähigkeiten und Assets kann ich dir bieten“.
In diesem Sinne
Ihr Wasserläufer
Adrian Dister
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