Der Ton Markt macht die Musik: Für die längste Zeit galt diese Faustregel sowohl in der Wirtschaft im Allgemeinen sowie der PR im Speziellen. Ob innovative Produkte und Dienstleistungen, neue Geschäftsmodelle und Startups oder strategische Neuausrichtungen etablierter Player, berichtenswerte Themen entstanden früher fast ausschließlich aus unternehmerischen Entscheidungen. In den vergangenen Jahren, befeuert durch Pandemie- und Kriegsauswirkungen, hat sich an diesem Zustand jedoch einiges geändert. Staatliche Eingriffe in ökonomische Prozesse sind so allgegenwärtig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der (neo-)liberale Konsens, dass man der Wirtschaft nur freie Hand lassen müsse, und dann würde schon alles gut, ist in etwa so lebendig wie seine Verfechter Reagan, Thatcher und Kohl. Und selbst unter dem konservativen Stadtbildbewahrer im Kanzleramt wird jetzt aktive Wirtschaftspolitik betrieben, als sei er vom Geist der vergangenen SPD beseelt.
Wenn der Gesetzgeber zum Taktgeber wird
Als PR-Profi, insbesondere im B2B-Segment, bedeutet dieser Zeitgeist vor allem, dass sich die Inhalte von Pressemeldungen, Fachartikeln und Co. immer häufiger aus aktuellen gesetzlichen und regulatorischen Neuigkeiten speisen. Extrem fällt dies bei unseren Kunden aus der Energiewirtschaft auf. Mit ständig neuen Vorgaben der Bundesnetzagentur zu Marktkommunikationsstandards, Redispatch-Prozessen und mehr wird es hier kommunikativ nie langweilig. Gefühlt beschäftigt die Branche schon lange nichts anderes mehr als EnWG, MsbG und EEG, ergänzt um MaBiS, LFW24 und ein Dutzend anderer Abkürzungen („Herzliches Beileid“ respektive „Willkommen im Club“ an alle, die mehr als zwei davon verstanden haben). Wer in diesem Umfeld Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreibt, lernt entsprechend schnell, Augen und Ohren offen zu halten. Denn der nächste Aufhänger für eine Presseinfo ist meist nur eine Festlegung der BNetzA entfernt.
Doch auch in unseren anderen Fokusbranchen spielen politische Eingriffe in den freien Wettbewerb immer öfter eine Rolle. Mit WatchGuard, Airlock und Orange Cyberdefense betreuen wir mittlerweile etwa drei Unternehmen, die ganz direkt von der EU-Richtlinie NIS-2 betroffen sind. Diese verschärft und erweitert die Cybersicherheitspflichten für viele kritische und wichtige Unternehmen, indem sie Risikomanagement, Meldepflichten und Sanktionen vorschreibt, um die Resilienz von Netz- und Informationssystemen zu erhöhen. Als IT-Security-Dienstleister bedeutet das in erster Linie: jede Menge zusätzliche Arbeit, nach der niemand gefragt hat. In der Gastronomie sorgen die Eingriffe von Vater Staat ebenfalls für Gesprächs- und Schreibstoff. Neben der Höhe des Mindestlohns und einer möglichen Pflicht zu digitalen Bezahlmöglichkeiten beschäftigt die Branche hier vor allem das Ab und Auf und jetzt vielleicht, wahrscheinlich, hoffentlich wieder Ab der Mehrwertsteuer. Dass der Gesetzgeber in diesem Fall ausnahmsweise einmal für Erleichterung statt Mehraufwand sorgen will, wird dann aktuell auch mit entsprechend vorsichtiger Dankbarkeit quittiert.
Eingriffe als Chance verstehen
So unterschiedlich diese regulatorischen Störfälle (oder „Herausforderungen“, wenn man etwas konstruktiver an das Ganze herantreten mag) im Einzelfall auch sind, haben sie doch gemeinsam, dass sie branchenübergreifend vorgeben, was jetzt für alle Marktteilnehmer, egal ob agiles Startup oder traditionsreiches Familienunternehmen, wichtig zu sein hat. Neben Aufwand, Stress und finanzieller Mehrbelastung, hat dies aber auch einige Vorteile. Die Unternehmen selbst haben im Zuge der allgemeingültigen Anforderungen etwa die Chance, sich gegenüber den Mitbewerbern zu profilieren. Einheitlichkeit schafft hier Vergleichbarkeit, wodurch die besonders zufriedenstellende und schnelle Umsetzung der Regulatorik zum echten USP wird. Für Kommunikationsprofis, deren Kunden entsprechend souverän auf dem Markt auftreten (was die unseren selbstverständlich tun), schreibt sich die zugehörige Pressemeldung dann praktisch von selbst.
Aus PR-Sicht hat das Ganze zudem noch weitere positive Aspekte. So lassen sich durch einen aufmerksamen Blick auf die derzeitigen gesetzgeberischen Prozesse und Entwicklungen in den Regulierungsbehörden schon frühzeitig potenzielle Pressethemen erkennen. Wer schon Monate im Voraus über neue Spielregeln für den Markt im Bilde ist, wird nicht überrascht, wenn diese akut werden. Zuletzt bietet sich in manchen Fällen auch die Gelegenheit, aktiv auf die Gesetzgebung beziehungsweise die Gestaltung der Regulatorik Einfluss zu nehmen. Meist geschieht dies über Verbände und sonstige Lobbygruppen, doch auch eine presseseitige Begleitung solcher Kampagnen kann sinnvoll sein. Ein anschauliches Beispiel, wie ein solches Vorgehen aussehen kann, liefert etwa der edna Bundesverband Energiemarkt & Kommunikation, den unser Geschäftsführer Uwe Pagel seit der Gründung betreut. Regelmäßig positioniert sich der Verband, in dem zahlreiche Unternehmen der Energiewirtschaft organisiert sind, zu aktuellen Gesetzesentwürfen und Vorgaben der Bundesnetzagentur – kritisch, aber immer konstruktiv. Um diese Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und ihnen so zusätzliches Gewicht zu verleihen, spielt unsere Kommunikationsarbeit eine entscheidende Rolle.
An diesen und vielen weiteren Beispielen zeigt sich: Die ständigen staatlichen Eingriffe in das Marktgeschehen sind für die Wirtschaft sicher kein Segen – als Fluch muss man sie dennoch nicht sehen. Die sinnvollste (und nervenschonendste) Herangehensweise für uns in der PR und alle anderen Beteiligten ist wie so oft, sich auf die Situation einzulassen und diese proaktiv mitzugestalten. Denn wer in Zukunft auf dem freien Markt bestehen will, sollte heute auf dem regulierten zurechtkommen.
