Wie sinnvoll sind Messen im Jahr 2020? Eine Frage, die sich im Zuge der aktuellen Corona-Krise mehr denn je aufdrängt. Warum sollten sich Tausende Menschen in enge Messehallen zwängen? Warum fremden Leuten die Hand geben, sich mit ihnen unterhalten und ihnen im unglücklichsten Fall den Stand vollhusten, nur um die neuesten Innovationen zu sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen? Man sollte doch meinen, dass in den technologisch fortschrittlichen Zeiten in denen wir leben, all das digital, online, in der Cloud erledigt werden kann.
„Die Zukunft ist jetzt!“ wie es so schön heißt. Nichtsdestotrotz geben Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen, von Automobilherstellern über Brauereien bis hin zu Produzenten für Erwachsenenunterhaltung, Unsummen für einen guten Platz auf ihrer jeweiligen Industrieschau aus. Da ich Vertrauen in die Vernunft meiner Mitmenschen habe, muss es also logische Gründe für diesen Aufwand geben. Glücklicherweise konnte ich vor wenigen Wochen selbst eine große Fachmesse, die Intergastra in Stuttgart, besuchen und dort hautnah erleben, was den Reiz dieser Veranstaltungen ausmacht.
Alle mal hersehen!
Schon nach den ersten Schritten in den Messehallen wird mir klar: Ein entscheidender Aspekt ist die schiere Überwältigungsästhetik. Als wären die Größe der Hallen selbst und die Menschenmassen nicht eindrucksvoll genug, versuchen die verschiedenen Stände sich alle gegenseitig zu übertrumpfen. Bestenfalls durch ansprechendes Design, spannende Präsentationen oder interessante Produkte – oft genug aber auch durch schrille Optik und Lautstärke. So oder so, hier liegt ein klarer Vorteil gegenüber Werbevideos und Co. Hätte ich etwa von Sesam-Eiscreme oder alkoholfreiem Radler (nein, es ist keine Limonade) im Internet erfahren, könnte ich mich vermutlich schon jetzt nicht mehr daran erinnern. Da ich beides jedoch auf Ständen kennenlernte, die im Gedächtnis bleiben, ist das Erlebnis noch sehr frisch vor meinem geistigen Auge beziehungsweise auf meiner geistigen Zunge. Wo wir auch schon beim nächsten, noch wichtigeren Element der Messeerfahrung wären.
Probieren geht über studieren
Anstatt mir vom Hersteller erzählen zu lassen wie revolutionär, innovativ und allgemein supertoll sein jeweiliges Produkt anscheinend ist, kann ich auf der Messe einfach selbst Hand – oder Zunge – anlegen. Sich auf der Auto-Show einmal in einen futuristischen Sportwagen-Prototyp zu setzen, ist eben etwas anderes, als nur hübsche Bilder und Leistungsdaten zu bestaunen.
Im Fall der Intergastra bedeutete das konkret, dass ich mir an so gut wie jedem Stand kleine Kostproben genehmigen durfte. Hier eine Kugel Eis, dort ein Stück Käse und eine Halle weiter eine Tasse Kaffee. Und als die beruflichen Verpflichtungen absolviert waren, konnte ich mich vorsichtig in den Bereich der Brauereien und Brennereien vortasten. Wagt man es, sich einmal über das gesamte Gelände zu „arbeiten“, eröffnen sich so völlig neue Geschmackswelten – Besucher erleben eine spannende Reise durch die Wunder der Lebensmittelindustrie. Bei aller Begeisterung gilt es jedoch Maß zu halten. Den Mitarbeitern auf den Ständen und dem eigenen Bauchumfang zuliebe.
Einfach ungezwungen
Auch wenn persönliche Gespräche und zwischenmenschliche Kontakte in vielen Lebensbereichen zunehmend durch digitale Kommunikationsmittel verdrängt werden, völlig ersetzen lassen sie sich nicht. Messen bieten aus diesem Grund den idealen Kontext für Branchen- und Pressevertreter, sich kennenzulernen. Anstatt etwa einzeln Termine für Interviews und Produktvorführungen zu vereinbaren, kann hier alles unkompliziert und gebündelt über die Bühne gehen. Auch allgemeines Networking ist auf dem Messestand so einfach und angenehm wie wohl nirgendwo sonst. Jeder weiß, weswegen man hier ist, und dazu gibt es leckere Snacks. So entsteht dann auch bei einem Glas alkoholfreiem Radler (wie gesagt, keine Limo) ein angeregtes Gespräch darüber, was denn eigentlich ein gutes Bier ausmacht.
Messen werden uns mit Sicherheit noch lange begleiten. In absehbarer Zeit können das Spektakel, die First-Hand-Experience und die persönliche Note einfach nicht ersetzt werden. Und nach meinen lehrreichen sowie schmackhaften Erfahrungen auf der Intergastra muss ich sagen: Gut so!
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