Haben Sie’s schon gehört? Das Büro ist tot – es lebe das Homeoffice! Spätestens seit der Corona-Pandemie gilt die Devise: Wer nicht gerade auf dem Bau oder in der Fabrik am Band arbeitet, kann seine Brötchen doch genauso gut von zuhause aus verdienen. Dank moderner Technik und Kommunikationsmitteln aller Art (Teams, Zoom, Slack etc.) ist es in vielen Berufen längst ein leichtes, die eigenen vier Wände als Arbeitsplatz zu nutzen. Entsprechend wurde in den vergangenen vier Jahren abertausende Kinderzimmer, Hobbyräume und Besenkammern zu Heim-Büros umdeklariert und mehr oder weniger umfassend mit nötigem Equipment ausgestattet. Manch einer geht sogar noch einen Schritt weiter und verzichtet gleich ganz auf einen festen Standort für seine Tätigkeit. Die sogenannten „Digital Nomads“ verrichten ihr Tagwerk – wenn man Instagram und LinkedIn glauben darf – mal hier, mal dort, immer auf dem Sprung zwischen Balingen und Bali. Direkt aus der Hängematte, mit Chai-Latte in der Hand und Blick auf den Sonnenaufgang, wird da noch schnell der Marketing-Pitch in das Tool der Wahl getippt, bevor man sich aufs Surfboard schwingt…oder so ähnlich.
Mein überspitzter Ton verrät: Ich bin kein Fan. Nicht falsch verstehen, ich lehne Homeoffice und Remote-Work nicht grundsätzlich ab. Die Möglichkeit, nicht immer in der Firma anwesend sein zu müssen, hat viele Vorteile, etwa wenn man Handwerker im Haus oder keine Betreuung für sein Kind hat. Auch ich selbst nutze das Angebot gelegentlich und möchte es nicht missen. Meine Kollegin Nataša Forstner berichtete zudem im Sommer letzten Jahres durchaus überzeugend von den positiven Seiten ihrer Workation in Kroatien. Dennoch muss ich mich an dieser Stelle als Verfechter des klassischen Büros outen. Denn bei aller Flexibilität und allem Komfort der Heimarbeit bieten die Räumlichkeiten des Unternehmens Mitarbeitenden doch ganz andere Voraussetzungen, um effektiv und effizient zu sein.
Besser arbeiten im Büro
Interessanterweise beginnt dieser Effekt bereits, bevor man überhaupt im Büro angekommen ist. Das morgendliche Ritual, sich fertig zu machen und das Haus zu verlassen sowie der (bestenfalls nicht allzu stressige) Weg zur Firma versetzen einen deutlich besser in ein produktives Mindset als die Kurzstrecke vom Schlaf- zum Arbeitszimmer. Vor Ort setzt sich dies fort: Die arbeitsame Atmosphäre unter den Kollegen (und ja, sicher auch die Anwesenheit der Vorgesetzten) motiviert eben meist mehr, als man das selbst vermag. Unterstützt wird dieser Eindruck auch von der Wissenschaft. Verschiedene Studien kamen in den letzten Monaten und Jahren zu dem Ergebnis, dass die Produktivität der Mitarbeitenden im Homeoffice durchschnittlich sinkt. Allem voran die Zusammenarbeit im Team leidet demnach unter der regelmäßigen Abwesenheit aus dem Büro, was sich insbesondere zu Corona-Zeiten deutlich zeigte. So wurden beispielsweise 2020 und 2021 über ein Drittel aller Videospiel-Releases verschoben, da zeitweise komplette Belegschaften von zuhause arbeiteten mussten. Verwundern können diese Zahlen freilich nicht. Es ist eben doch deutlich einfacher, ein großes Projekt im Team zu koordinieren, wenn sich dessen Mitglieder schnell und unkompliziert in persona austauschen können, anstatt in einem Dutzend Videocalls festzuhängen.
Abseits solcher „weicher Faktoren“ haben Büros natürlich auch ganz konkrete Vorzüge in Sachen Technik und Infrastruktur. Angefangen bei gut ausgestatteten Schreibtischen bis hin zu Konferenzräumen, Kantinen und Co. kann ein Firmengebäude vielfältige Benefits bieten, die den Arbeitsalltag angenehmer gestalten. Eine solche, auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden ausgerichtete Gestaltung der Büroflächen wird somit auch zunehmend wichtiger, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Ob das Büro nun „ein Erlebnis“ sein muss, wie manch einer sagt, sei mal dahingestellt – modern ausgestattet und angenehm eingerichtet sollte es aber allemal sein.
Kräfte bündeln
Abschließend muss ich natürlich zugeben, dass es sich bei diesem Für und Wider hauptsächlich um das Luxusproblem eines verhältnismäßig kleinen Teils der arbeitenden Bevölkerung dreht. Menschen die an der Supermarktkasse sitzen, Betten im Hotel machen oder in der Pflege arbeiten, stellt sich in der Regel nicht die Frage, ob sie ihre Mails besser vom höhenverstellbaren Schreibtisch oder der Küchentheke beantworten. Dass gebündeltes Arbeiten vieler Menschen an einem Ort effizienter als vereinzelte Heimarbeit ist, gilt jedoch auch für handfestere Tätigkeiten. Das hat nicht nur ein rauschebärtiger Ökonom im 19. Jahrhundert festgestellt, sondern auch die indische Diamantenindustrie – und eröffnete deshalb im letzten Jahr das größte Firmengebäude der Welt, in dem nun ein Großteil aller Diamantenschleifer und -händler des Landes unter einem Dach tätig sind. Bei dessen Dimensionen gerät jedoch unter Umständen schon der Weg von einem Büro zum anderen zu einer Art Workation.
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