Vor knapp drei Jahren habe ich meiner Tochter einen Plattenspieler gekauft. Einige Monate später hatte ich selbst meinen eigenen. Und in den letzten Wochen haben die ersten Kolleginnen und Kollegen ihr Schallplattensammlungen neu entdeckt, weil sie musikalisch in die analoge Welt zurückgekehrt sind. Klar: Das Revival des Vinyls, von dem schon seit Jahren die Rede ist, geht ungebremst weiter. Selbst Drogeriemarktketten haben sich inzwischen darauf eingestellt und eine Vinyl-Abteilung eingerichtet (aber wer will da schon Platten kaufen … ). Und plötzlich liest man vom neuen Trend zur analogen Fotografie. Sogar die totgeglaubte Musikkassette feiert plötzlich fröhliche Urstände. Analog vs. Digital ist deswegen für mich nicht die Frage. Im Gegenteil: Im Zeitalter der Digitalisierung gewinnt das analoge Erlebnis wieder an Wert, weil es uns aus dem virtuellen Raum zurück ins wahre Leben führt.
Der Plattenhändler meines Vertrauens …
… heißt Martin und betreibt den Sound Circus in der Ulmer Frauenstraße. 30 Jahre wird der Laden in diesen Tagen alt und feiert dies mit einer dreitägigen Mega-Party im Club Eden in Ulm. Obwohl dieser Plattenladen so analog ist, wie man sich das nur vorstellen kann, warten viele Freunde des Analogen jede Woche sehnsüchtig auf die Liste von neu eingetroffenen Langspielplatten, die jeweils aktuell auf der Sound Circus-Facebook-Seite gepostet wird. Und auch im Laden selbst, wo man gegen Abend gern ein sehr analoges Bier oder ein Gläschen Wein unter Gleichgesinnten genießt, kommt die Musik nicht immer von einer schwarzen Scheibe. Bei der Suche nach bestimmten Titeln geht es in die digitale Welt. Da schaut man auf YouTube nach oder recherchiert in anderen Quellen. Doch dann wird eine Platte aufgelegt, der Tonarm senkt sich, und es ist eben doch ganz anders, als einen Clip auf YouTube abzuspielen.
Analog und Digital ergänzen sich
Ich persönlich genieße es, über Apple Music nach neuer Musik zu stöbern, einzelne Alben anzuhören oder einfach eine vorgeschlagene Playlist durchzuhören. In meiner Küche läuft sonntags beim Kochen das Lounge oder Soul Radio, und selbst beim Schreiben dieses Blogs höre ich digital Musik (aktuell übrigens das Album „Another Green World“ von Brian Eno). Es ist die pure Freiheit, sich aus Millionen von Titeln genau die Musik herauszusuchen, die beispielsweise die Tätigkeit, einen Blog schreiben zu müssen, ideal unterstützt. Und dann hört man plötzlich ein Album, das einen im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen lässt: Das ist der Moment, wo ich aus der digitalen Welt in die analoge wechsle. Nicht jede Platte, die mir gefällt, ist es die Mühe wert, die Haube des Plattenspielers abzunehmen, die Scheibe aufzulegen, den Tonarm (natürlich) manuell herunterzulassen und: Musik zu hören. Nur um nach 20 Minuten wieder aufstehen zu müssen, um die Platte umzudrehen. Entdeckt im digitalen, erlebt im analogen Raum, hört sich Musik anders an. Man hört bewusster und die vollständige Klanginformation, der keine Bits und Bytes von der MP3-Komprimierung weggezwackt wurden. Und das hört man! Auch wenn es schlechte Pressungen gibt, die durchaus mit MP3 konkurrieren können.
Kurzer Einschub für alle Journalisten, die sich über Vinyl-Revivals auslassen: Es geht hier nicht um „das leise Knistern, wenn sich der Tonarm senkt“! Eine Platte knistert nicht, wenn sie sauber ist, auf einer entsprechenden Matte liegt, die Nadel regelmäßig gereinigt und eventueller Staub mit einer antistatischen Bürste beseitigt wird. Das „Knistern“ ist ein saublöder Mythos!!
Analog vs. Digital ist auch sonst keine Frage
Es ist geht nicht um eine Alternative. Es geht um persönliche Vorlieben! Ich schreibe gern auf meinem iPad, weil er für mich das perfekte Notizbuch ist. Und mit Papierkalendern bin ich noch nie klargekommen. Aber: Eine Tageszeitung digital zu lesen ist für mich keine Option: Die muss aus Papier sein, morgens beim Frühstück, bei einer guten Tasse Tee. Ich kenne Menschen, die würden nie mehr ein Buch auf Papier lesen, schon weil es soviel Platz wegnimmt. Für andere wiederum ist das eBook dagegen der blanke Horror. Und was im Privaten gilt, gilt auch beruflich: Um Menschen zu erreichen, müssen alle Kanäle genutzt werden: Fachzeitschriften, Tageszeitungen, Radio und TV ebenso wie News-Portale, Social Media oder Corporate Blogs. Denn jeder bevorzugt andere Medien (das habe ich bei Blog’n’Relations zwar schon öfter gesagt, aber Wiederholungen schaden in diesem Falle nicht).
Analoge Premiere
Mein Freund Martin feiert – wie gesagt – diese Woche das 30-jährige Jubiläum des Sound Circus, gewissermaßen als analoger Überlebender, der zum Trendsetter mutiert ist. Das Fest beginnt am Donnerstagabend im Ulmer Club Eden. Dann legen Freunde des Sound Circus ihre Titel auf – analog versteht sich und jeder nur drei vier Titel. Ich bin stolz darauf und froh darüber, zu diesen Freunden zu gehören. Auch wenn mir ein bisschen bange ist. Denn als Vinyl-DJ habe ich mich noch nie ausprobiert. Mal hören, ob ich das hinbekomme …
Layout von Lena Pagel