Eine haarige Angelegenheit
Der eine oder andere mag es schon vermuten: Herr Dister hat mit Wellness, SPA und Co. wenig am Hut. Nichtsdestotrotz finde ich es phantastisch, was ein erfolgreicher Friseurbesuch in den gestressten Seelen vieler Frauen (und Männer) bewirken kann. So küsse ich beispielsweise meine genervte Ehefrau am Morgen, um zur Arbeit zu gehen und finde am Abend ein wohlgelauntes, emotional runderneuertes Weib in meinen Armen wieder – vorausgesetzt ich bemerke den neuen Haarschnitt. Ist dies nicht der Fall, gehe ich natürlich nicht romantisch erotisiert über Los, sondern lande direkt in der Beziehungshölle.
Um dem Geheimnis dieser Frischzellenkur auf die Schliche zu kommen, nahm ich neulich allen Mut zusammen und habe Emily (meine Ehefrau) in ihren Schönheitstempel begleitet. Warum? Ganz einfach: Ich liebe magische Momente. Ob ich nun nach erschöpfenden Denkübungen die Lösung für ein Kommunikationsproblem finde, den Schlusspunkt unter ein Strategiepapier setze oder das Wunder eines perfekten Gin-Tonic nach einem Besprechungsmarathon erlebe – Magie macht das Leben einfach schön.
Und so gehe ich mit Emily zu ihrem Haus-und-Hof-Stylisten, um die Zauberkunst von Kopfmassage, Farbe und Schere am eigenen Leib zu erfahren.
Große Erwartungen.
Erstaunliches Ergebnis.
Anstatt in eine völlig neue Welt einzutauchen, werde ich Opfer eines déjà-vu. Ich bin nicht beim Friseur und schlürfe Prosecco, sondern befinde mich mitten in einem Marketing-Pitch! Das Erste, was Marianne (besagte Stylistin) bemerkt, ist, dass Emily nicht die übliche Nachschneide-Haarlänge mitbringt. Damit nicht genug. Auch der Schnitt selbst stößt Marianne sauer auf. Die Diagnose: zipfelig und unsymmetrisch. Während dieser haarigen Bestandsaufnahme erfahre ich, dass meine Frau erst vor zwei Wochen beim Friseur war, einem total angesagten Laden in Stuttgart, und heute nur neue Ansatzfarbe braucht.
Marianne ist beleidigt und ich bin verblüfft, was ich alles nicht über meine Frau weiß.
Doch das ist nicht Hauptgrund für mein Erstaunen. Was mich wirklich begeistert ist die Tatsache, dass Friseure und Marketiers eine ähnliche Bewertungs-Optik haben: Alles was sie nicht selber machen ist grundsätzlich Mist, unabhängig davon, ob ein echter Profi am Werk war, oder nicht. Kommt ein Marketingfachmann während einer kommunikationstechnischen Bestandsaufnahme bei einem potenziellen Kunden so richtig in Fahrt, wird erst einmal an ALLEM rumgemault. An erster Stelle steht dabei natürlich das Logo. Keine Agentur kann der Versuchung widerstehen, am Logo des Kunden rumzufingern. Gleich darauf folgt der kreativ gequälte Aufschrei über den Farbraum – wurscht, wie er aussieht, er ist nicht gut. Hat man beides zerschmettert ist der Weg zu neuen Key-Visuals nicht weit. Kurzum: Der Kunde, der eigentlich nur ein neues Anzeigen-Layout wollte, steht vor den Trümmern seiner gestalterischen Weltanschauung und muss alles neu machen, weil das so nun wirklich nicht geht … Wie bei Marianne, die sich jetzt erst einmal auf das zipfelige Haarmonster meiner Frau stürzt, anstatt einfach die gewünschte Ansatzfarbe anzurühren.
Ist es nicht einfach wunderbar, wie Menschen ticken? Wir kümmern uns stets darum, das Vorhandene zu optimieren anstatt danach zu fragen, um was es eigentlich geht. Wäre es nicht toll, man würde diese operative shit-in-shit-out-Hektik (sorry) durch eine Denkweise ersetzen, die sich erst um die Struktur und dann um den Inhalt kümmert? Erst das „Wie soll ich denken?“ dann das „Was soll ich denken?“
Na ja, ich geh jetzt mal zum Friseur
Ihr Adrian Dister