Wir freuen uns sehr, heute Marietta Gädeke als Gastautorin begrüßen zu dürfen! Sie war im Jahr 2005 Praktikantin bei Press’n’Relations – heute lässt sie uns an ihren jahrelangen Erfahrungen zum Thema Krisenkommunikation teilhaben.
Bald kommt der Herbst und mit ihm ein alter Bekannter: Der Nebel. Besonders beim Autofahren kommt der dichte Dunst ungelegen. Plötzlich geht es nicht mehr flott voran, denn aus der grauen Suppe könnte jederzeit eine Gefahr auftauchen: Ein Auto, eine Kurve, ein verirrtes Reh. Und so zuckelt man in großer Unsicherheit über die Landstraße, obwohl der Weg vielleicht komplett frei wäre.
Die PR kennt ein ganz ähnliches Phänomen. Man spricht in Krisen vom „Nebel des Krieges“, neudeutsch auch „Fog of War“. Gemeint ist ein Phänomen, das schon der alte Carl von Clausewitz in seinem Buch „Vom Kriege“ beschreibt: „Der Krieg ist das Gebiet der Ungewissheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit.“ Man erkennt nur, was direkt um einen herum geschieht. Konsequenzen von Handlungen sind aufgrund der unsicheren Situation kaum noch abschätzbar.
Analog dazu herrscht in der Krisen-Kommunikation große Ungewissheit. Im Shitstorm feuert der Internet-User jede Minute neue Kommentare, die Presse lässt Bombe um Bombe an gesammelten Informationen platzen und die Pressestelle kann im schlechtesten Fall nur die größten Schäden verarzten, während die Geschehnisse eine eigene Dynamik entfalten.
In Zeiten der Empirie-Steuerung von PR ist Clausewitz fast revolutionär. Denn er setzt als Lösung auf den Verstand, darauf, „mit dem Takte seines Urteils die Wahrheit herauszufühlen.“ Als Pressesprecher in der Krise die Wünschelrute herauszuholen und zu „erspüren“ was die nächste Handlung sein wird, kommt beim Vorstand jedoch meist nicht gut an.
Gegen den Nebel der Unsicherheit und der fehlenden Informationen hilft Gespür alleine also nicht. Noch schlimmer: es gibt keine Taktik, die durch Zauberhand absolute Klarheit schafft. Stehen wir also machtlos im Nebel? Nein. Als PR-Manager kann man mit drei Erkenntnissen vorsorgen:
1) Krisen verlangen schnelle Antworten – Kenne den Weg
Krisen entwickeln sich schnell. Was eben noch beeinflussbar war, ist im nächsten Moment aus der Hand geraten und richtet großen Schaden an. Darum müssen Information schnell weitergegeben und eingesetzt werden. Das Unternehmen und die eigene PR-Stelle müssen auf diese veränderte Situation vorbereitet sein. Lange Wege und komplizierte Abstimmungsprozesse verschärfen die Gefahr. Das heißt für die PR: Zuständigkeiten und Freigabe-Wege im Konzern müssen für den Krisenfall abgekürzt, vorausgeplant und auf Kommando ohne Reibungsverluste umgeschaltet werden. Je klarer die Wege und Zuständigkeiten, desto klarer die Kommunikation im Ernstfall.
2) Krisen erzwingen Entscheidungen – Kenne das Ziel
Der Nebel der Krise ist für alle undurchsichtig und belastend. Das ganze Team steht vor großen Herausforderungen, denen nicht jeder gewachsen ist. Darum muss intern Klarheit herrschen. Der Praktikant kann alleine keinen Shitstorm abwenden. Das eigene PR-Team muss vorbereitet sein: Wo liegen die Prioritäten in der Krise? Muss der Urlaub abgesagt werden? Was tun, wenn ein Teammitglied keine Leistung bringt? Als Chef keine Entscheidung zu treffen und „abzutauchen“ ist ein größerer Fehler, als aus schlechten Optionen auszuwählen. Die Zeit schreitet voran – und in der Krise arbeitet sie gegen das Uns. Prioritäten zu setzten, wird schwieriger. Doch nichts ist wertvoller im Nebel als eine gute Orientierung.
3) Krisen lassen keine Zeit zum Nachdenken – Kenne dich selbst
Die PR-Krise ist wie ein verbaler Schlagabtausch: Drei Tage später fällt dem Team ein, was man hätte sagen sollen. Unter Druck funktioniert nichts mehr wie vorher. Kein Wunder: Die Pressestelle hat alle Hände voll zu tun Termine, Reaktionen und Statements vorzubereiten, während wütende Bürger über Social Media nach Antworten verlangen. In diesem Umfeld bleibt kaum Zeit für das Entwickeln von Argumentationslinien. Eine schlüssige Strategie für den kommunikativen Umgang mit dem Problem fehlt. Hier muss entweder professionelle Hilfe eingekauft werden oder man setzt weit im Vorfeld an: Angriffe und Kritik kommen selten überraschend. Der Insider weiß, wo mögliche Probleme in Unternehmen und Branche liegen. Darum heißt die Lösung: Vorbereiten, Argumente formulieren, Fakten zusammentragen. Dann kommt der Angriff des Handelsblatts nur halb so überraschend und kann gekonnt mit gut recherchierten Hintergrundinformationen pariert werden. Selbst wenn das Terrain und der Gegner unbekannt sind: „Kenne dich selbst!“ ist die wichtigste Strategie im Nebel der Krise.
Der alte Clausewitz behält also auch heute teilweise recht: Ein scharfer Verstand ist entscheidend. Nicht nur innerhalb der Krise, sondern vor allem in der Vorbereitung. Das richtige Gespür mag in der Situation selbst dann den feinen Unterschied machen.
Im Auto dagegen kann auch Clausewitz uns nicht helfen. Ein Ziel und ein Weg helfen, doch wir werden wohl trotzdem im Herbst wieder ganz langsam aber sicher unserem Ziel entgegen zuckeln.
Über die Autorin
Marietta Gädeke berät und trainiert Führungskräfte der Bundeswehr und europäischer Unternehmen in punkto PR, Argumentation und interkultureller Kommunikation. Die deutsche Meisterin im Debattieren organisierte die Debattier-Weltmeisterschaften in Berlin und Chennai, recherchierte in Israel und schreibt über die großen und kleinen Krisen der Kommunikation und Kultur. Kontakt: mg@lilit-kommunikation.de
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