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Ich fotografiere gerne. Aber ich bin Amateur. Als erfolgreicher Profi würde ich jetzt vielleicht mein nächstes Shooting vorbereiten oder Bilder für einen Foto-Wettbewerb aussuchen. Stattdessen schreibe ich heute über Fotografie. Über das Können, die Kreativität und die Kunst, gute Fotos zu machen. Und warum ich guten Profi-Fotografen immer mehr Respekt entgegenbringe. Denn gerade heute, wo jeder jederzeit Fotos anfertigen kann, sind Können und Kreativität wichtiger denn je.

Als meine Frau und ich letztens diverse Varianten des Portraitlichts vom Single-Light-Setup bis zum Three-Point-Lighting durchprobiert haben, wuchs mein Respekt vor Profi-Fotografen. Bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit – so scheint es zumindest – ein guter Portrait-Fotograf das Setup aufbaut, dabei auf Model, Bildstil und Location Rücksicht nimmt, um sich anschließend ganz auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Ideal ergänzt wird dieses Können, das handwerkliche Geschick, wenn der Fotograf zugleich Geschick im Umgang mit seinem Model beweist. Wenn der Mensch hinter der Kamera den davor so anweisen kann, dass Lichtstimmung, Gesichtsausdruck und Körperhaltung die angestrebte Bildaussage bestmöglich unterstützen. Models entsprechend zu dirigieren, insbesondere solche, die keine professionellen Models sind, ist eine Kunst für sich. (Tipps für das Posing von Nicht-Models gibt Julia Trotti in ihren Videos sowohl für Männer als auch für Frauen.)

Portrait statt Passbild – wenn Profi-Fotografen am Werk sind

Gute Portraits anzufertigen, das heißt aber auch, in Gesichtern lesen zu können. Ist schmeichelndes, weiches Beauty-Licht ein Muss für das Model oder ist ein ausdrucksstarker Look eher geeignet? Und wie überzeugt der Fotograf sein Model, dass eine charaktervollere, schattenreiche Lichtsetzung vielleicht die bessere Wahl für ihr/sein Portrait ist? Denn wie Syl Arena feststellt: „Um interessantes Licht zu erzeugen, brauchen Sie interessante Schatten“ [Das Canon-Speedlites-Handbuch, 2012, erschienen im Addison Wesley Verlag].

Wie gut schatten- und kontrastreiche Portraits aussehen können, zeigen der New Yorker Fotograf Daniel Norton und sein Kollege Joe McNally im Video. Die charaktervollen Portraits von Schauspieler Nick heben sich wohltuend vom soften Look typischer Bewerbungsfotos ab.

Kreativität ist wichtiger als die Technik

Im Studio, wo der Fotograf/die Fotografin sich auskennt, mag das Anfertigen von Portraits noch einfach erscheinen. (Ist es das wirklich?) Doch der Profi lässt sich auch auf fremden Terrain nicht aus dem Konzept bringen. Stellen Sie sich vor, jemand verlangt von Ihnen, Sie sollen stylische Portraits in einer staubigen Autowerkstatt schießen – vielleicht für eine Modebroschüre oder einen Tuning-Katalog. Und Sie dürfen nicht Ihre vertraute Profi-Ausrüstung mitbringen, sondern müssen sich mit kleinen Aufsteckblitzgeräten begnügen, wie auch ich Amateur sie in meiner Fototasche herumtrage. Zudem sollen Sie auch noch eine bestimmte Mini-Softbox benutzen, weil zu diesem Produkt gerade eine Werbekampagne läuft. So ist es Joe McNally ergangen, als das Video „Using the Joe McNally Ezybox Speed-Lite 2 Plus“ gedreht wurde. Die Ergebnisse sind bemerkenswert.

Wie Profi-Fotografen in der heutigen Bilderflut Akzente setzen

Natürlich liefert uns das Video nur Ausschnitte aus dem Shooting und wir wissen nicht, wie lange es insgesamt gedauert hat, die jeweiligen Motive „in den Kasten“ zu bekommen. Dennoch war ich erstaunt, wie zielsicher Joe die Lichtsetzung angeht. Als wäre er Director of Photography und Regisseur in einer Person dirigiert er das Model und sein Team, passt die Lichtsetzung an, arbeitet so die gewünschte Bildwirkung heraus und verbirgt Störendes (wie den besagten Staub) geschickt in den Schatten oder durch die Wahl des Bildausschnitts. Handwerk oder Kunst? Wie auch immer. Auf jeden Fall ist es ein Mix aus Kreativität und Können, der mir zeigt, warum Profis halt Profis sind und dass Joe für seine Arbeiten nicht umsonst mehrfach ausgezeichnet wurde.

Dieses Können ist es, was wir heute brauchen, um unsere (Bild-)Aussage aus der Masse herauszuheben. In der Kunst, in der Werbung und in der PR. Denn bei der Flut an Bildern, der wir heute ausgesetzt sind, können Fotos nur dann Akzente setzen, wenn sie durch Qualität und Kreativität überzeugen.