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„Greifen Sie zu!“ Hier steht es in Worten. Doch egal, wo wir diesen Katalog aufschlagen – die Bildsprache flüstert uns diese Botschaft in fast jedem Foto zu. Denn in den Modekatalogen, die gerade auf meinem Schreibtisch liegen, sind weder triste Stapel verschiedenfarbiger Pullis abgedruckt noch dokumentarische Fotos filigraner Muster. Hier wird Mode ins richtige Ambiente gesetzt, damit der Kaufanreiz nicht nur den Verstand, sondern ebenso unser Unterbewusstsein erreicht. Die Regeln, nach denen Mensch und Motiv in Szene gesetzt werden, können auch beim Entwickeln der eigenen (PR-)Bildsprache helfen. Nehmen wir also ein paar Motive unter die Lupe.

Cover-Bildsprache: Schau mich an!

Die erste Botschaft eines jeden Katalogs lautet: Wirf mich nicht weg! Meist zieren plakative, klare Bilder das Cover, um diesem Appell Gehör zu verschaffen. Und deswegen unterscheidet sich das Cover-Foto eines Modekatalogs von den Bildern im Innenteil oft in einem wesentlichen Detail: Das Model auf dem Titelblatt schaut den Leser an (siehe rechter Katalog).

Und nun schau aufs Produkt!

Dass der direkte Blickkontakt im Innenteil von Modekatalogen oft vermieden wird, hat seinen Grund: Wir sollen ja auf die Kleidung schauen, nicht auf die Gesichter. Würde das Model in die Kamera blicken, würde es unseren Blick anziehen. Aber hier geht es nicht um Porträts, hier geht’s ums Geschäft. Daher wird bei Modefotos oft eine weitere Regel gebrochen, die bei normalen Porträts Bedeutung hat: In Fashion-Fotos sind Augen oder Gesichter oft nicht nach den Regeln des Goldenen Schnitts angeordnet.

Am Rande bemerkt: Sonnenbrillen unterbinden den „Augenkontakt“ ebenfalls sehr wirkungsvoll. Schön sind die Fotos aber meistens nicht, es sei denn, der Augenschutz passt zum Motiv (z.B. Pilotenstil oder Urlaubsambiente).

Inszenieren statt porträtieren

Die Models auf der hier gezeigten Doppelseite wirken, als seien sie ganz mit sich selbst beschäftigt. Die Bilder haben Schnappschuss-Charakter. Der Betrachter, kann somit das Feeling – zum Beispiel „Freiheit“ (Schiff-/Strandmotiv), „Genuss“ (Eisessen) oder „Unbeschwertheit“ (Jonglieren) – nachempfinden, ohne Teil der Szene zu sein. So können wir uns ganz auf die Stimmung und das meist zentral positionierte Outfit konzentrieren.

Dieser ganz bewusst „nicht porträtierende“ Bildstil passt hier perfekt – und lässt sich ebenso gut in anderen Branchen einsetzen. Zum Beispiel im Marketing für Autos, Notebooks, Küchengeräte, Musikinstrumente und viele andere Güter, bei denen der Mensch als Anwender des Produkts ins Bild integriert wird.

Welchen Bildstil wählen?

Farbig oder bunt?

Lassen wir Schwarzweißbilder* und monochrome Fotos einmal außen vor. In der (Mode-)Welt geht’s meistens farbig zu. Wie farbig, hängt nicht zuletzt von der gewünschten Bildaussage ab. Im oberen Beispiel dominieren kräftige Rottöne oder Türkis. Die Lebendigkeit der Farben und nicht zuletzt der Häuserhintergrund signalisieren: Hier geht es um alltagstaugliche Kleidung, um City-Look und Casual Wear für Leute, die sich nicht verstecken wollen.

In welcher Farbwelt die Bildsprache angesiedelt ist und wie bzw. über welche Motive die Farben ins Bild integriert werden, lässt sich wieder auf viele Einsatzgebiete übertragen: Fahren wir mit dem zu bewerbenden Auto durch die Landschaft oder durch die City? Nehmen wir mehr oder weniger natürliche Elemente mit in den Bildausschnitt?

* Die Ausnahme in der Modewelt: reduzierte Bildsprache in Schwarzweiß

Dass Lifestyle und Mode nicht zwangsläufig eine farbige Darstellung verlangen, zeigen zum Beispiel einige Fotos (und das hier eingebundene, kurze Video) von Alexander Zuber (https://alexanderzuber.com). Seine Arbeiten überzeugen durch eine klare, reduzierte Bildsprache – in Schwarzweiß noch viel mehr als in Farbe. 

Zuber hat sich auf Advertising, Fashion, Lifestyle und Porträt spezialisiert. Mit seiner Art zu fotografieren kombiniert er die Porträt- und Fashionfotografie mit einem künstlerischen Anspruch. Daher liebt er Editorials, wie in der Zeitschrift fotoPRO (Ausgabe Winter 2018) nachzulesen ist. Wenn er freie Hand habe, sei das die perfekte Verbindung zwischen angewandter und künstlerischer Fotografie.

Nachhaltige Farbgebung mit den Farben der Natur

Mehr Natur ins Bild zu nehmen oder zumindest auf natürliche Farben wie Braun- und Grüntöne zu setzen, empfiehlt sich zum Beispiel, wenn Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder Bioprodukte dargestellt werden. Gedeckte Farben sind in diesem Fall eine gute Wahl. Zwar gibt es auch knallroten Mohn, sattgelbe Butterblumen oder strahlendblauen Enzian in der Natur, doch diese kräftigen, gesättigten Farben sollten in „nachhaltigen“ Motiven allenfalls als Akzent eingesetzt werden – auch in der Natur sind sie ja nur Farbtupfer in der Landschaft.

Auch die visuelle Sprache hat 

Wörter, Sätze, Absätze und Kapitel

So wie ein einzelnes Wort – etwa „damit“ – noch keine Sprache bildet, noch nicht mal auf die Sprache schließen lässt („damit“ bedeutet in Philippinisch Kleidung), ist auch die Bildsprache erst komplett, wenn ihre Elemente zu Sätzen und Absätzen geformt werden.

Übertragen auf Bilder bedeutet dies unter anderem, auf Durchgängigkeit bei den Farb- und Formkompositionen zu achten. Mehrere Bilder auf einer Doppelseite oder Website sollten ein harmonisches Gesamtbild ergeben. Anderenfalls wirkt die Doppelseite ebenso inkonsistent, wie wenn man beim Sprechen mitten im Satz von einer Sprache in eine andere wechselt.

Wir alle kennen dieses Sprachregelung aus Modekatalogen: Dort sind meistens die Basics, die Must-haves, Business Dress, elegante Abendgarderobe oder die Strandkleidung zu „visuellen Kapiteln“ gruppiert und die zusammengehörigen Fotos oft in ähnlicher Atmosphäre aufgenommen.

Mit Bildern inspirieren, mit Text informieren

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Zumindest transportieren Bilder oft andere Botschaften als geschriebene Wörter, und das höchst wirkungsvoll in wenigen Sekunden. Zum Beispiel bringen sie ein Lebensgefühl (Lifestyle) rüber. Oder vermitteln Gefühle wie Geborgenheit, Freiheit, Abenteuerlust oder Sicherheit. Wer seine Bildsprache geschickt wählt, muss somit weniger Wörter auf den Kaufanreiz verwenden. Bei ausdrucksvoller Bildsprache darf es auf der Textebene daher durchaus informativer zugehen. Das schafft Platz, um die Produkteigenschaften, Varianten, Preise und andere Informationen zu vermitteln, die sich nicht in Bilder fassen lassen.

Keine Werbung…

…sondern nur als Hinweis, welche Modekataloge ich für die vorstehende, kleine Bildanalyse zur Hand genommen habe. 

Auf meinem Schreibtisch lagen die Frühlingskataloge von:

Warum mich Damenmode interessiert?

Für alle, die sich fragen, warum ausgerechnet ich als Mann mich für diese Modekataloge interessiere? Warum ich hier in Opa-Jeans und alter Strickjacke die Fashion-Frühlingstrends der Damenwelt studiere? Weil ich aus den Bildern lernen kann. Nicht nur die die Vokabeln und Grammatik der jeweiligen Bildsprache. Beim genauen Hinsehen erfährt man so manches Wissenswerte über Licht, Lichtführung und Beleuchtung, den (Tages-)Lichtcharakter, die Wirkung von Brennweiten und vieles mehr. Kenntnisse der Fotografie, die auch bei Porträts oder bei Reportagen anwendbar sind. Und diese Bildanalyse fällt um so leichter, wenn man selbst nicht zur Zielgruppe gehört.


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