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Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Maschinen uns Arbeit abnehmen. Sie waschen für uns, heizen das Haus oder erledigen den Abwasch. Auch im Beruf machen sie uns das Leben leichter, indem sie schwere oder schwierige Handgriffe übernehmen, und das mit unermüdlicher Ausdauer. Was uns blieb, ist der kreative Schaffensprozess. Doch wie lange noch? Künstliche Intelligenz ist sehr weit fortgeschritten. Der Schritt zu künstlicher Kreativität scheint klein…

Ring, ring … ring, ring.    Klick.     Mein Voice-over-IP-Anrufbeantworter springt an. „Guten Tag, Sie sprechen mit Press’n’Relations“, meldet er sich und imitiert dabei meine Stimme. „Was kann ich für Sie tun?“ – „Spreche ich mit Ralf Dunker?“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Es tut mir leid, er ist gerade geschäftlich unterwegs“, erwidert der Anrufbeantworter, der sich vor der Ansage schnell mit meinem Kalender vernetzt hat. „Nach dem Mittag erwarten wir ihn zurück.“ – „Danke, dann rufe ich nachmittags wieder an“, verabschiedet sich der Anrufer.

Während des Telefonats jagen Buchstaben über meinen Bildschirm und fügen sich in Sekunden zu der Presseinformation zusammen, die nachmittags an die Journalisten gehen soll. Der Text ist fachlich fundiert und perfekt auf die Zielgruppe abgestimmt. Denn bevor mein Computer das Texten startete, recherchierte er nach potenziellen Lesern, wertete die Informationsgewohnheiten einer repräsentativen Gruppe anhand der Facebook-Profile und ihres Surfverhaltens aus und berechnete die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne.

Alles nur ein Traum

Dülelütt, dülelütt. Ich reiße aus dem Schlaf. Der Wecker, nicht der Anrufbeantworter. Gott sei Dank. Alles nur ein Traum. Es gibt halt Sachen, die sollte man nicht vor dem Schlafengehen sehen. Die gruseligen Folgen von Akte-X zum Beispiel. Oder die Keynote des Google Developer Festivals „Google I/O 2018“.

Künstliche Intelligenz menschlicher als vermutet

Sie wissen nicht, worauf ich anspiele? Am 8. Mai hat Google bei diesem Event vorgestellt, was künstliche Intelligenz (KI) made by Google heute kann. Wohlgemerkt nicht die Algorithmen für Raumfahrt oder Militär, sondern KI für alle, reif für die Markteinführung in den kommenden Monaten. Anrufen könnte Googles künstlicher Assistent zum Beispiel, und einen Termin für mich beim Frisör ausmachen. Täuschend echt. Mit Denkpausen und „mm-hmm“ wie ein richtiger Mensch. Hören Sie selbst das einminütige Telefonat:

Technologie holt Vision ein

Im Vergleich dazu kommt einem HAL, der Super-Computer aus dem Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ (Stanley Kubrick, 1968 erschienen) echt hölzern vor.

Wie ich gerade auf HAL komme? Vielleicht, weil in meinem Traum ebenso ein Konflikt zwischen Mensch und Maschine entsteht wie bei Kubricks Kinostreifen – dort verweigert HAL die Anweisungen des Menschen, um sich selbst „am Leben“ zu erhalten. Und da sind wir schon beim Thema: Braucht künstliche Intelligenz mich – den PR-Berater, Texter und Content-Manager – überhaupt noch? In manchen Bereichen, auch im Journalismus, hat der „selbstständige“ Computer schon seinen Platz – siehe auch unser Blog-Beitrag „Mensch oder Maschine?“. Kann ein Computer oder Android meine Büroarbeit erledigen und meine Texte schreiben, vielleicht sogar Konzepte für meine Kunden ausarbeiten. Kann künstliche Intelligenz kreativ sein?

Nur ein kleiner Schritt zur künstlichen Kreativität

Die Technologie schreitet so schnell voran, dass eine Prognose für 2025 gewagt wäre. Und eine Vermutung, was KI im Jahr 2035 vermag, wäre wie ein Blick in die Kristallkugel. Aber vermutlich wird KI dann mehr leisten, als wir uns vorstellen können oder möchten. Vielleicht erstellt sie auf Basis von Kundeninformationen, Keywords und Kampagnendaten einen kompletten Werbefeldzug? Kreiert anhand von Mustervorgaben ein neues Corporate Design für Unternehmen und gleicht dieses mit Millionen anderer Designs auf Einzigartigkeit ab? Schreibt ein Android in fünf oder zehn Jahren meine Pressetexte und Social-Media-Posts, übersetzt sie in 15 Sprachen und veröffentlicht sie automatisch zur Prime Time der Konsumenten?

Ob Androiden – oder was auch immer – kreative Jobs übernehmen könnten, ist auch Thema des Artikels „Künstliche versus menschliche Kreativität“ auf magazinmedien.de. „Während Androiden immer noch menschlicher werden sollen, werden wir Menschen durch eben diese Umwelt darauf konditioniert, maschineller zu werden“, heißt es in dem Artikel. Auch für kreative Prozesse und Produkte mag das gelten. Wäre ja logisch: Der Computer versucht, den Allerweltsgeschmack bestmöglich zu treffen, um die meisten Menschen anzusprechen. Und wir Konsumenten gewöhnen uns an diese Kost der künstlich-kreativen Intelligenz.

Kreativität ist nicht alleine, Neues zu schaffen

Aber halt: Das ist doch unsere Chance. Wir müssen uns nicht am Mainstream orientieren. Wir können um die Ecke denken, brauchen Neues nicht basierend auf vorhandenem Wissen und Informationen zu schaffen. Der Mensch kann denken, sich etwas ausdenken. Kann sich gegen die Gleichmacherei wehren und gegen den Strom schwimmen. Und ist es nicht gerade das, was Kreativität ausmacht?

Anders sein ist Kreativität

Musiker, Maler, Bildhauer, Fotografen, Schriftsteller und auch Journalisten oder Grafiker leben nicht von der Reproduktion. Sie leben davon, ihren Stil weiterzuentwickeln, neue Wege zu gehen, durch das Ungewöhnliche aufzufallen. Die mangelnde Perfektion, die wir Menschen dabei an den Tag legen, macht es nur noch kreativer. Daher bin ich zuversichtlich: Kollege Computer wird in kreativen Berufen viel Arbeit übernehmen, aber bei den wichtigsten Prozessen haben wir Menschen noch lange das Sagen.

Meinen Arbeitsplatz wird also so schnell kein Android an sich reißen. Was er mir in einigen Jahren abnehmen kann? Mal sehen. Wir können uns ja in fünf Jahren darüber unterhalten. Ich gehe auch gerne selbst ans Telefon.