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Wenn der Begriff Storytelling fällt, geht es meistens um Texte, Audio-Content oder Video-Botschaften. Aber auch in Fotos, sogar in einem einzigen Bild, kann Storytelling stattfinden – und mancher Werbebotschaft zu Nachhaltigkeit verhelfen. Einige Gedanken über den „Film im Kopf“.

Ein Bild sagt mehr als zehntausend Worte – diesen Satz bezeichnete Fred R. Barnard 1927 als chinesisches Sprichwort, um seiner Behauptung mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, als er für die Kraft der Bilder in Anzeigen warb. In seiner Kampagne ging es um bebilderte Werbung in Straßenbahnen. Heute ist die plakative, auf die Bildwirkung gestützte Werbung für uns gang und gäbe, in vielen Branchen unentbehrlich. Zum Beispiel in der Modebranche reicht selbst die detaillierteste Beschreibung oft nicht an die Aussagekraft eines Fotos heran. Aber gerade in der Fashionwerbung zeigt sich auch, wie stark (oder schwach) Bildaussagen sein können. Jeder von uns kennt Katalogbilder ordentlich aufeinander gestapelter Pullover, die ausschließlich über Farbe und Struktur Auskunft geben. Auf anderen Motiven sollen „on location“ aufgenommene Fotos uns das „Look and Feel“ beim Tragen vermitteln; die Bilder präsentieren Business-Style in hippem, urbanem Ambiente oder die jüngste Sommermode an (erstaunlicherweise oft leeren) Traumstränden und wecken unbewusst Emotionen in uns.

Stories in Bildern und Single-Frame-Movies

Aber kann ein Bild auch einen Handlungsstrang repräsentieren, der sonst einer Erzählung oder eines Movies bedarf? Ich denke dabei nicht an Filmplakate, die spezialisierte Maler wie Ernst Litter und Hans Braun geschaffen haben, um das Genre, die Hauptdarsteller oder Handlungselemente eines Kinostreifens darzustellen. Ich denke an den „Film im Kopf“. Das Bild, das den Betrachter anregt, sich selbst Gedanken über das zuvor Geschehene oder die weitere Abfolge der Handlung zu machen. Ein Motiv, das die Fantasie anregt, die Handlung zum Foto zu enträtseln oder zu erfinden. Das Foto, das im Gedächtnis bleibt, weil man sich an seine Story erinnert.

„Doch“, wird mancher sich fragen, „wozu brauche ich einen Film im Kopf, wenn bewegte Bilder uns überall hin begleiten?“ Begleiten uns doch Youtube, TV, Video on Demand und die dazugehörigen Werbeformen an (fast) jeden Ort? Die Antwort gab der Fotograf Matt Henry jüngst in einem Interview mit dem deutschen Magazin Photographie. Henry ist ein Meister der Bilderserien und verdichtet Stories, die einen Film füllen könnten, in wenigen Fotografien. Er meint: „Einen Film kannst Du nicht an die Wand hängen.“ Ich möchte ergänzen: Ein Film regt die Fantasie nicht so sehr an.

Noch stärker verdichtet sind „Single-Frame-Movies“. Sie entfalten mit einem Bild die Fantasie des Betrachters. Details drängen sich in den Vordergrund, motivieren dazu, die Fotografie zu analysieren, und lösen die Frage aus: Was ist hier passiert? Was wird jetzt geschehen?

Das klingt abstrakt, doch es funktioniert. Der Aufwand hierfür ist aber oft vergleichbar mit einer kleinen Filmproduktion. Im Trailer „Gregory Crewdson: Brief Encounters“ werden kurze Einblicke in die Arbeit von Gregory Crewdson gewährt. Der Zwei-Minuten-Film lässt erahnen, mit welchen Aufwand und welcher Akribie der Fotograf zum Beispiel eine idyllische Vorstadtszenerie in David-Lynch-Manier zu einem düsteren, surrealen Single-Frame-Movie verwandelt.

Kreatives Potenzial

Zugegebenermaßen hat diese Fotokunst nichts mit Werbung zu tun, denn die Bildsprache von Crewdson passt nicht in die Fashionbranche. Aber sie zeigt, dass ein Foto (ich meine ein echtes, wenn auch nachbearbeitetes – keine Computeranimation) mehr sein kann als das Einfrieren von Zeit und Raum in einem Bild. Bilder können mit der Fantasie spielen und den Betrachter „entführen“, zum Beispiel in eine verzauberte Welt, wie es Schuhanbieter Ted&Muffy tut: Um die „märchenhafte Passform“ der aktuellen Kollektion auszudrücken, bemüht das Unternehmen Aschenputtel, die Schneekönigin, Rapunzel und Rotkäppchen. Hier sitzen die Wölfe friedlich und ergeben zu Rotkäppchens Füßen und die Märchenfigur wird zur eleganten Heldin. (Außer den Fotos gibt es auch ein Video, aber da wirken die Gestalten meiner Meinung nach nicht intensiver.)

Das Fashion-Label Henry Cotton’s rückt in seinen Kampagnen wiederum gerne ein Thema mit Ausflugs- und Urlaubscharakter in den Mittelpunkt, ohne sich in monotoner Bildsprache zu verlieren. So ließen die Bilder von Magnus Reed bzw. The Apartment Group anlässlich der Vorstellung der Sommerkollektion 2012 den Betrachter an einem Ausflug aufs Land teilhaben, im Winter drauf wählte das Team das Fotoalbum eines St.-Moritz-Trips als Thema.

Wenn die Geschichte zum „Film im Kopf“ im Kopf bleibt

Auf der Suche nach jungen Beispielen für Single-Frame-Movies aus der Werbebranche bin ich ins Grübeln geraten. Da fällt mir zuerst die Werbung von BIC für Permanent-Marker, bei der eine ältere Frau mit rot gefärbten Haaren die Unterschrift von Jimi Hendrix auf der Haut trägt. 2004 erregte das Bild von Garry Simpson Aufsehen – und war reif für den Film im Kopf (nur deswegen erinnere ich mich nach über zehn Jahren noch an die Anzeige): Wo traf die Frau den weltbekannten Gitarristen? War es beim Woodstock-Festival? Ist das nicht eine Ewigkeit her? Jimi hat bestimmt nicht jedem weiblichen Fan sein Autogramm gegeben, und schon gar nicht…

Ein junges Beispiel aus der Modewelt zu finden, fiel mir nicht leicht, dabei bildet Musik das Bindeglied zum nächsten Beispiel: Wer in meinem Alter kennt nicht die „Blues Brothers“ und ihre Sonnenbrillen – die Ray Ban „Wayfarer“. Seit Jahren laufen Werbekampagnen dieses Brillenherstellers unter dem Motto „never hide“. Eine Bildersuche im Internet anhand der Begriffe „Ray Ban never hide“ bringt manch witziges, humorvolles oder provokatives Motiv zutage. Nicht alle, aber manche Fotos taugen auch zum Film im Kopf, andere machen zugleich Werbung für Toleranz. Aber was schreibe ich hier lange, suchen Sie einfach die Never-hide-Motive. Denn Bilder sagen mehr als zehntausend Worte…