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Es gibt ja so Momente, in denen mir die tägliche Arbeit als nicht enden wollende Sisyphos-Arbeit erscheint. Eine Pressemitteilung jagt die andere, dieser Journalist will den versprochenen Anwenderbericht schon drei Wochen früher, jener Ansprechpartner für das vereinbarte Interview ist telefonisch nicht zu erreichen, die Freigabe für den vierseitigen Fachartikel ist seit zwei Tagen überfällig. – Wer in dieser Branche arbeitet, weiß, was ich meine … Auch meine Begriffs-Allergie gegen „Kompetenz“, „Innovation“ und „Bereich“ findet sich noch oft genug Angriffen aus Ecken des BWL- und Marketing-Sprechs ausgesetzt. Derartigen Herausforderungen begegnen meine Kolleginnen, Kollegen und ich mit entspannungsfördernder Bauchatmung, liebenswürdigen Terminerinnerungen und einer unerschütterlich freundlichen Dickfelligkeit in der Verteidigung sprachlicher Klarheit. Das nennt man Routine.

Eine ebenso ausgeprägte Geübtheit weisen wir auch im Verfassen von Pressemitteilungen, Fach- und Anwenderberichten auf. In Begriffen wie „Fleet-Management-Systeme“, „ganzheitliche Prozesssicht im Qualitäts- und Produktionsmanagement“, „Lastgang-Analyse“, „Marktlokations-Identifikationsnummer (MaLo-ID)“, „integriertes Einspeisemanagement“, „Lithium-Ionen-Batteriesysteme“, „DIN-Becherbefestigungen“, „Rundstahlketten“, „Antriebs- und Umlenkrollen“ oder „verlustarme Hochspannungs-Gleichstromübertragung“ bewegen meine Kollegen und ich uns recht sicher. Und entstehen trotz hoher semantischer Bezeichnungslastigkeit im Wort dennoch Probleme, den richtigen Ausdruck, die passende Formulierung zu finden, fragen wir uns in Zweifelsfällen einfach gegenseitig oder den Duden oder ein Fachwörterbuch um Rat.

Orientierung an der Faktenlage

Ein Grund für diese Versiertheit in textlichen Fragen liegt zu einem sehr großen Teil daran, dass es das, worüber wir schreiben, auch tatsächlich gibt. Es ist faktisch vorgegeben als gegenständliche Dinge oder vorhandene Prozesse bzw. Dienstleistungen. Selbst bei in Aussicht gestellten Funktionen und Verbesserungen neuer Software-Versionen herrscht größtenteils Einigkeit darüber, was sie alles leisten oder leisten werden … oder zumindest leisten sollen. Egal ob normative Fakten oder abgestimmte Briefings – eine quasi alternativlose Fakten-Basis, auf die wir unser schreibendes Tun beziehen können, ist da. Das erleichtert die Orientierung enorm, denn Übereinstimmungen oder Abweichungen lassen sich mehr oder weniger schnell erkennen.

Seit kurzem habe ich diese journalistische Faktenorientierung an vorhandene, klar definierte Dinge wieder schätzen gelernt. Das liegt weniger an den politischen Peinlichkeiten des internationalen Zeitgeschehens, als vielmehr in meinen ganz persönlichen beruflichen Erfahrungen. Denn statt über ein intelligentes Tourenüberwachungssystem mit angebundenem Eskalationsmanagement oder über ein auf allen Endgeräten laufendes Shop-Portal als SaaS-Lösung zu schreiben, sollte ich eine Pressemitteilung über ein Kunstwerk schreiben, das bei einem unserer Kunden im neubezogenen Firmensitz aufgestellt wird.

(Foto: Schulz Group)

Nun gut – Auch so ein gegenständliches Kunstwerk ist zweifellos ein Ding, in diesem Fall sogar eine sich über mehrere Stockwerke erstreckende, also nicht zu übersehende Großplastik eines renommierten Künstlers mit Ausstellungen in der ganzen Welt. Aber beim Anblick dieser beeindruckenden, im riesigen Atrium des Firmengebäudes fast frei schwebenden Skulptur war ich dann doch erstmal beeindruckt von den gleichzeitig organischen wie skelettartigen Strukturen, die sich da spiralförmig nach oben (oder nach unten?) erstrecken. Und diesem Eindruck folgte sofort leichte Panik: Was soll ich hierüber schreiben? Würde eine deskriptive Beschreibung des Kunstwerks reichen? Hmm – Das könnte wahrscheinlich ebenso schnell langweilig und peinlich werden wie die Schilderung meiner Eindrücke beim Betrachten des Gebildes. Schließlich mangelt es mir an theoretischem Rüstzeug, Werke der bildenden Kunst umfassend zu beschreiben, geschweige denn versiert zu kritisieren. Ach, hätte mich doch damals öfters mal in die Vorlesungen der Kunsthistoriker gesetzt! Deren Vokabular hätte mir jetzt sicherlich geholfen…

Passendes Schuhwerk empfohlen

Zum Glück hat mir der betreuende Galerist nicht nur Fotos weiterer Werke des Künstlers zur Verfügung gestellt, sondern auch einige Informationen, Zeitungsartikel und Katalogtexte zu dessen Œuvre. So hatte ich wenigstens eine textliche Basis, zu der ich meine eigenen Eindrücke in Beziehung setzen konnte. Meine Eindrücke bei der Lektüre: Wer mit den vielfältigen Formen des gegenwärtigen Kunstschaffens nicht so vertraut ist, mag es leicht fallen, über „Blickachsen“, „visuelle Komplettierung“ oder „skulpturale Bespielung“ zu lächeln oder den Kopf zu schütteln. Manche Beschreibungen hingegen beeindruckten mich dann aber doch, weil dort versucht wurde, Eindrücke der Anschauung wiederzugeben, die dem herkömmlichen oder alltäglichen Blick auf die uns umgebenden Dinge fremd sind. Gewohnt, über Produkte, Projekte oder Vorhaben meiner Kunden zu schreiben, also über „Fakten, Fakten, Fakten“, stellte sich mir diese Aufgabe doch etwas komplizierter dar, da ja die Engführung von Produkt bzw. Projekt zum Kundennutzen oder zum Zweck viel leichter fällt, als bei einer Skulptur, die mehr sein will als ein schmückendes Beiwerk, wie etwa der vorgartenschmückende Gartenzwerg oder die interieuraufwertende Häkeldecke im Wohnzimmer meiner Großmutter. Kurz zusammengefasst: Es gibt da einen Unterschied in der Betrachtung und Beschreibung eines Dinges, das einen Zweck erfüllt, und einem, dessen Zweck nicht eindeutig ist. Eines weiß ich sicher: Über klar definierte Gegenstände wie etwa Schrauben, Batteriesysteme oder Shop-Portale fällt mir eindeutig leichter zu schreiben, als über Kunstwerke, die nach Ansicht eines Königsberger Philosophen im besten Fall interesseloses Wohlgefallen auslösen mögen.

René Magritte, La Trahison des Images. (Foto: Louvre, Paris)

Obwohl …? Das liegt ja vielleicht doch nicht an den Gegenständen allein? Nehmen wir zum Beispiel Bäume! Die spenden im Sommer kühlenden Schatten, dem Jogger stehen sie im Weg, Hunde beim Auslauf mögen sie, Forstbesitzern sind sie eine wertvolle Quelle an Nutzholz, und der Dichter konstatiert: „Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!“ Womöglich prägen ja die Formen der Anschauung – von wissenschaftlicher Deskription über instrumentelle Verfügbarkeit bis hin zu rätselhafter Poesie – die Dinge, die wir wahrnehmen? … Ach, ich höre jetzt lieber auf zu räsonnieren! Das führt in unwegsames Gedankenterrain fernab ausgeschilderter Wege und asphaltierter Strecken. Außerdem mahnt mich mein Kollege, endlich den ausstehenden Blog-Beitrag fertigzustellen. Ok, dann Schluss mit den Gedanken über ästhetische Erfahrungen und frisch ans bloggende Tagwerk!

Ein Gedicht aber noch zum Schluss. Das hat Robert Gernhardt einst über das Schöne geschrieben …

„Nachdem er durch Metzingen gegangen war

Dich will ich loben, Häßliches,
Du hast so was verläßliches.

Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,
fast tut es weh, wenn man es sieht.

Wer Schönes anschaut spürt die Zeit,
und Zeit sagt stets: Gleich ist’s so weit.

Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer,
die Häßlichkeit erfreut durch Dauer.“