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Nach meinem letzten Ausflug in die Geschichte Ulms – der Fertigstellung des Münsterturms vor 125 Jahren – starten wir genau dort den nächsten Bericht aus Ulm: Im Glockenstuhl des Turms hängt eine Glocke, die älter ist als der Turm selbst. Sie wurde vor 700 Jahren schon mit einem Riss geliefert und wird nur einmal im Jahr, übrigens als einzige von Hand, geläutet. Zum Einsatz kommt sie immer am vorletzten Montag im Juli, wenn Ulms Oberbürgermeister am Ende seiner Schwörrede die Finger erhebt und den Eid auf die Stadtverfassung ablegt:

„Ich schwöre, Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein in den gleichen, gemeinsamen und redlichen Dingen ohne jeden Vorbehalt.“

Pünktlich um 11.00 Uhr tritt er auf den Balkon des Schwörhauses – selbstverständlich haben die Ulmer extra dafür ein Haus gebaut – legt Rechenschaft über das vergangene Jahr ab und stellt seine politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Pläne für die nächsten 12 Monate vor. Auf dem Platz davor – dem Weinhof – drängen sich Politiker des Landes, Stadträte, geladene Gäste und natürlich die Bürger. Da wird gelauscht, gelacht, geklatscht oder auch mal vor sich „na bruddelt“ (der Schwaben zeigt, dass ihm etwas nicht passt). Neben all den kleinen und großen Festen im Städtle ist der Schwörmontag mit Abstand unser wichtigster und liebster Feiertag. Diesen „Bürgerfeiertag“ gibt es nämlich nur hier.

Kleiner und Großer Schwörbrief

Im 14. Jahrhundert hatten die vielen Händler und Handwerker einen erheblichen Teil zum großen Reichtum der Stadt Ulm beigetragen, ein Mitspracherecht im Rat hatten sie allerdings nicht. Regiert wurde Ulm von den Patriziern, Familien aus der politisch und gesellschaftlich führenden Oberschicht. Zahlreiche Ämter, wie beispielsweise das des Bürgermeisters, waren einzig und allein ihnen vorenthalten. Die Zünfte jedoch wollten an der Stadtherrschaft teilhaben und so kam es zu einem jahrelangen Streit. 1345 wurde zunächst der „Kleine Schwörbrief“ verfasst und somit die erste Stadtverfassung fixiert. Nun hatten die Zünfte Zugang zum Stadtregiment und stellten 17 der 32 Ratsmitglieder. Die Patrizier jedoch gaben ihre Machtstellung natürlich nicht gerne auf, so dass der Streit immer wieder entbrannte. Am 26. März 1397, also ziemlich genau 20 Jahre nach der Grundsteinlegung des Münsters, unterschrieben Zünfte und Patrizier schließlich den Großen Schwörbrief.

Der Große Schwörbrief (copyright: Stadtarchiv Ulm)

Der Große Schwörbrief (copyright: Stadtarchiv Ulm)

Die Zünfte hatten ihre Position gefestigt, alle Mitglieder des Stadtregiments hatten nun gleiches Stimmrecht und der Bürgermeister wurde dazu verpflichtet, jährlich Rechenschaft abzulegen. Nach dem Bericht des Bürgermeisters schworen sich Bürgerschaft und Stadtrat gegenseitige Treue. Mit Unterbrechungen ging das über 400 Jahre so. Denn 1802 verlor Ulm die Unabhängigkeit und wurde erst Bayern und später dann Württemberg zugesprochen. Plötzlich gab es keine eigene Verfassung mehr und so geriet der Schwur bis zum Jahr 1933 in Vergessenheit.

Die Schwörfeier wieder neu belebt

Erst die Nationalsozialisten ließen den Bürgermeister wieder Rechenschaft ablegen und nutzten das gegenseitige Treuegelöbnis für ihre eigenen Propaganda-Zwecke. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges war es Oberbürgermeister Theodor Pfizer, der 1949 den Schwörakt wieder einführte. Seit 650 Jahren verfügt Ulm nun also über eine eigene Verfassung – und das schon 147 Jahre vor der Entdeckung Amerikas und 444 Jahre vor der französischen Revolution. Wer uns Ulmer kennt, weiß, dass darum mit dem Schwur auf dem Balkon die Party erst so richtig beginnt. Höhepunkt am Nachmittag ist das „Nabada“ (hochdeutsch: hinunterbaden), ein fröhliches und buntes Treiben auf der Donau.

Quelle: www.swp.de, Fotograf: Volkmar Könneke

Quelle: www.swp.de, Fotograf: Volkmar Könneke

Während Themenboote ähnlich wie beim Karneval aktuelle Themen aufgreifen und die Politik durch den Kakao ziehen, pumpen Tausende von Ulmern ihre Schlauchboote auf oder bauen eigene Flöße, um sich im kühlen Nass eine ordentliche Wasserschlacht zu liefern. Bürgermeister und Stadtrat führen den Umzug auf dem Wasser mit der Ulmer Schachtel an. Zum krönenden Abschluss verwandelt sich die komplette Stadt mit allen Außenbezirken bis um Mitternacht in eine riesige Partymeile. A propos Ulmer Schachtel: Dieses Boot gibt es seit dem Mittelalter und hat großen Einfluss auf die Geschichte der Stadt genommen. Aber das ist eine eigene Geschichte.

Den Schwörmontag dieses Jahr verpasst? Macht nichts: Er findet ja auch 2016 wieder statt. Bis dahin kann man die Schwörglocke hier so oft anhören, wie man möchte und Bilder gibt es natürlich auch.